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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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Nachmittag war sie im Pentagon und wartete im Vorzimmer ihrer Chefin. Ihren Anzug hatte sie so geknöpft, dass er am unnachgiebigsten wirkte. Sie hatte einige Stunden Zeit gehabt, die Dinge zu durchdenken, und als man sie zu Rebecca Dix vorließ, war sie gut vorbereitet.
    Dix war von einem Dinerempfang beim Präsidenten hergerufen worden und wirkte überhaupt nicht erfreut. Auf der Schreibtischkante sitzend, nickte sie Mary zu und wies auf das Wanddisplay, auf dem die CONTOUR-Nachricht dargestellt wurde. »Ihre Analyse, Agent Delaney?«
    »General Bragg bestätigte den Erhalt einer Mitteilung, der zufolge eine genehmigte Erprobung von CONTOUR an einer kleinen, isolierten und unbedeutenden Bevölkerungsgruppe innerhalb der Beschränkungen der A12-Test-Vereinbarungen …«
    »Lesen kann ich mal selber«, entgegnete Dix milde. »Von Ihnen will ich nur wissen, wer Ihrer Meinung nach etwas davon hat.«
    Mary begegnete dem ernsten, finsteren Blick der Ersten Beraterin des NSC mit gelassener Selbstsicherheit.
    »Lassen Sie das Projekt auffliegen.«
    »Weiß sonst noch jemand davon?«
    Mary sah Jude vor sich. »Nein.«
    »Wenn doch …«, wegen des Versuchsgeländes und Judes Verbindung dorthin wussten beide, was Dix meinte, »sorgen Sie dafür, dass es keine weiteren Kreise zieht.«
    »Jawohl, Ma’am.«
    »Mary?«
    Mary sah Dix ins Gesicht und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
    »Soll ich Sie ablösen? Machen Sie sich keine Sorgen. Ich kann dafür sorgen …«
    »Nein, Ma’am«, erwiderte Mary fest.
    Dix nickte langsam. »Wenn es Ihnen zu viel wird, dann zögern Sie nicht und bitten Sie um Hilfe.«
    »Ich danke Ihnen, Ma’am.«
     
    Nachdem Natalie ihr Sandwich gegessen hatte, blieben ihr nur noch zehn Minuten, um die Dateien zu lesen, eher weniger. Die Sprache, in der sie geschrieben waren, war ihr vertraut – sie hatte an ihrer Entwicklung mitgearbeitet. Was sie sah, ließ sich dennoch nicht leicht interpretieren, aus zwei Gründen: Zum einen war der Quelltext sehr schlecht geschrieben, zum anderen enthielt er einiges, das ihr als nicht folgerichtig erschien, bis sie das Programm auf ihrem Simulator laufen ließ.
    Bei ihrem simulierten Patienten, der zu Anfang des Testlaufs in normalem Zustand war, schotteten sich nach dem Start des Programms zunächst die Gefühlszentren bis fast zur Empfindungslosigkeit ab, und die Aktivität im Stirnhirn sank auf einen Wert unterhalb des Skalenbeginns. Dann begann das Programm all das zu verbinden und anzuregen, was beim Menschen subtil den Geist verfinstert. Das Ergebnis war eine Art paranoide Schizophrenie. Im Grunde trieb das Programm sein Opfer auf plumpe Weise in den Wahnsinn. Im Vergleich zu Natalies Arbeit erschien das Programm ungefähr so ausgeklügelt wie ein Skateboard neben einem Spaceshuttle. Dennoch wäre sie jede Wette eingegangen, dass es funktionierte, so gut jedenfalls, dass es jeden Menschen dazu gebracht hätte, ein Haus niederzubrennen oder sich zu erschießen, nur um der plötzlichen, unverständlichen Spirale des Elends und Wahnsinns zu entkommen, zu der sein Leben geworden war.
    Natalie löschte es von ihrem Rechner. Warum gelang es immer so mühelos, das Schlimmste anzurichten, während es ungeheuer schwierig war, den gleichen Defekt, wenn er natürlich auftrat, zu bereinigen? Diese beschissenen fünfzig Zeilen! Genug, um den Verstand jedes Menschen zu vernichten, mit dem sie in Kontakt kamen – aber auch nur ansatzweise ein Gegenmittel zu finden bedeutete jahrelange Arbeit. Wie lange hätte sie gebraucht, um diese fünfzig Zeilen zu schreiben? Eine Woche? Einen Monat? Doch hier lagen sie vor ihr: Brutal, knapp, deutlich und hässlich wie die pure Sünde hockte das Programm auf den Jahren, die sie und alle anderen am Projekt Beteiligten geschuftet hatten; es stahl die Macht ihres Verfahrens, sein Heilpotenzial, seine immense Subtilität und schmiedete es zu einer Waffe, mit der man einen Menschen endgültig in den Wahnsinn trieb.
    Natalie nahm die Disk aus dem Computer, hielt sie einen Augenblick lang zwischen Daumen und Zeigefinger und schob sie dann in ihre Tasche. Dreck. Ganz gewiss würde sie Jude wiedersehen, da konnte kein Zweifel bestehen. Doch zunächst musste sie sich an den Konferenztisch setzen und nachdenken, denn ihr drohte der Verlust des einzigen Jobs, den sie noch hatte.
    Natalie packte ihre Notizen und ihr Pad, eilte die drei Korridore von ihrem Büro zum Konferenzsaal und setzte sich just in dem Moment an den Tisch, als die

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