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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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Mistkerl war ihr mit langen Schritten gefolgt, so schnell, dass Dan rennen musste, um Schritt mit ihnen zu halten, und bislang war am anderen Ende noch niemand herausgekommen. Und wie um das Elend voll zu machen, begann es wieder zu regnen.
    Er wollte gerade aufgeben und einen Bogen um den Block machen, um auf die gegenüberliegende Seite der Kirche zu gelangen, als er im langen Schatten des letzten Hauses einen anderen Mann reglos an der Ecke stehen sah. Auch dieser Mann blickte angestrengt in die Bäume, und seine Gestalt strahlte eine Wucht und ein ruhiges Selbstvertrauen aus, die Dan überhaupt nicht gefallen wollten. Er trug einen langen, dicken Mantel, der zu warm war für das Wetter, und einen breitkrempigen Hut, der das Gesicht in einen noch tieferen Schatten tauchte. Wenn er Dan bemerkt hatte, so ließ er sich nicht anmerken, ob es ihn störte, und er zeigte auch keine Regung, als eine Gruppe Studenten ihn auf dem Weg in die Stadt in geringem Abstand passierte.
    Dan war klar, dass er sich töricht verhielt, doch er konnte nicht anders. Er kroch tiefer in seine Jacke und schüttelte sich das Haar aus der Stirn; dann verließ er den Bürgersteig und suchte in seinen Taschen, bis ihm einfiel, dass er vor drei Tagen das Rauchen wieder mal aufgegeben hatte. Es war sowieso zu spät. Der Mann hatte ihn kommen sehen und wandte sich ihm gerade zu; in dem Winkel, in dem er seinen Hut aufgesetzt hatte, schützte er ihn vor jedem Blickkontakt. Dan beschleunigte seinen Schritt und wäre fast über den Bordstein gestolpert. Genau vor dem Fremden erlangte er das Gleichgewicht zurück und baute sich vor ihm auf. Dan war groß, er konnte sich vor jemandem aufbauen. Er wünschte gleichzeitig, er hätte es sein gelassen, doch sein Mund fuhr schon mit der Verstellung fort.
    »Haben Sie mal Feuer?«
    Der Mann grunzte verneinend, und Dan sah, wie sein glatt rasiertes Kinn sich von einer Seite zur anderen bewegte, als er versuchte, an Dan vorbeizublicken. Dan versperrte ihm mit Kopfbewegungen die Sicht. Der Mann trat gewandt einen Schritt zur Seite und sagte mit schnarrender Stimme, in der kein bisschen Gefühl zu finden war: »Tut mir Leid, Kumpel. Nichtraucher.«
    »Okay.« Dan zögerte und schaute dem Mann ins Gesicht, und ihm wurde übel. Genau wie bei Ray sog das ausdruckslose Starren ihn in sich auf, nur war dieses Starren noch leerer und gähnender, als genügten auch tausend Dans nicht, um diese Leere auszufüllen. An den Augen des Mannes war etwas Merkwürdiges. Sie wirkten konzentriert und entschlossen, waren zugleich aber jedes Lebens beraubt und von einer Stumpfheit, die jeden Schmerz, jede Freude und alles, was Dan sich an Empfindungen vorstellen konnte, betäubt hatte. Dan lief es eiskalt über den Rücken.
    Der tote Blick richtete sich wieder auf die Bäume.
    Dan wusste, dass dieser Mann auf keinen Fall etwas Gutes im Schilde führte. Wenn er Natalie oder diesen Amerikaner beschattete, musste Dan dafür sorgen, dass sie ihm entkamen. Hatte Natalie schon genügend Zeit gehabt, um zu verschwinden? Dan drückte sich vor dem Mann herum, gab sich freundlich wie ein Hündchen, das keinerlei Feindseligkeit spürt, und versperrte ihm die Sicht auf die Kirche.
    Der Mann reagierte augenblicklich: Er zog die Hände aus den Taschen und legte sie Dan auf die Schultern. Die gleichgültige Stimme sagte: »Hör zu, ich weiß nicht, was für ein Spiel du treibst, Freundchen, aber ich will meine Ruhe haben, und ich wäre dir sehr dankbar, wenn du dich endlich verpisst.«
    Die Hände stießen Dan mit einer beiläufigen Kraft fort, bei der sich seine Schlüsselbeine verbogen. Dan taumelte zurück, machte eine Art Schnellschritt und prallte mit Kopf und Schulter gegen den Laternenpfahl hinter sich. Sein Schatten tanzte, sein Kopf wackelte wie bei einer Stoffpuppe. Dabei kam er auf die Idee – keine brillante Idee –, sich betrunken zu stellen; Betrunkene wurden herumgeschubst, trugen es aber nicht lange nach, wenn sie sich überhaupt daran erinnerten.
    »Leihst du mir ’n Fünfer?«, fragte er schleppend.
    Scheiße. Verdammte Scheiße! Warum hatte er das gesagt? Denn nun wurde er mit echtem Interesse gemustert. Ohne dass eine Bewegung sichtbar gewesen wäre, schoss plötzlich die rechte Faust des Mannes vor und traf Dan mit der Wucht eines Huftritts in die Magengrube.
    Dan klappte zusammen, keuchte, hielt sich den Bauch. Er war überzeugt, dass sein Solarplexus gerissen war oder eine gebrochene Rippe die Lunge angestochen hatte.

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