Mappa Mundi
greifbare Seite der Gedanken«, ergänzte Jude. Wenigstens sein Gedächtnis funktionierte noch so, wie es sollte. Auf dem Hinweg hatte er sich eifrig informiert und war sich über die technischen Aspekte im Klaren, wenn auch nicht über die genaueren Einzelheiten des Themas.
»Ja. Das ist mein Gebiet. Und etwas von meinem Code ist in diesem Bastardprogramm gelandet. Ich weiß sogar noch, wann ich es geschrieben habe und wo es in unserem echten Programm steht – es ist ein Gefühlsauswerter, ein Tool, um emotionale Reaktionen auf und die emotionalen Ursachen für bestimmte Meme zu erfassen und zu bearbeiten; es teilt mir mit, was die Versuchsperson empfindet und was sie als Reaktion darauf wahrscheinlich als Nächstes tun wird. Nun, theoretisch wenigstens. Trotzdem …«
»Und mein Programm ist Flickwerk?« Vorsichtig fasste er zusammen, was sie gesagt hatte.
»Genau. Ein Flickwerk, das aus einem normalen Menschen einen Psychopathen macht. Schrecklich brutal. Unsere Methode war niemals für solch eine Anwendung bestimmt.«
»Gibt es etwa gute und schlechte Psychopathen?« Er wollte lachen, doch dann dachte er an White Horse und was sie von Martha Johnson erzählt hatte, und so verließ sein Lachen gar nicht erst die Startbox.
Sie kamen an einer weiteren Kirche vorbei. Die erste war klein gewesen, diese nun war riesig, blass und reich verziert. Ihre bemalten Glasfenster wurden von innen erleuchtet, doch nur wenige Menschen standen in der Nähe. Die eisenbeschlagenen Türen waren geschlossen. Eine Kathedrale? Jude senkte den Kopf, um Natalie hören zu können, während sie weitersprach, ohne seinen Arm loszulassen.
»Nein. Nicht ganz. Vielmehr gibt es Psychopathen, die ihre Persönlichkeit und ihre Vernunft behalten, Leute, die weiterhin folgerichtig handeln, und es gibt … wovon Sie erzählt haben. Ich bezweifle sogar, dass ein natürliches Gegenstück dazu existiert. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob man das, was herauskommt, wenn man jemanden mit diesem Code behandelt, noch einen Menschen nennen kann. Es …«
»Es ist, als würde man jemandem das Gehirn mit einem Löffel durchrühren?«
»Und ließe nur die schlechten Teile beieinander. Die Identität des Opfers wird durch den Vorgang im Großen und Ganzen ausgelöscht. Es wird schwachsinnig. Ich glaube, der Code wurde aus den Musterdateien einer Persönlichkeit zusammenkopiert, die stark gestört war. Diese Persönlichkeit versucht man im Kopf des Empfängers unterschiedslos als Aktivitätsmenge zu duplizieren. Als wäre dieses Programm nichts als ein Fotokopierer für Gehirne.«
»Aber so geht es nicht?« In diesem Punkt war er sich nicht ganz sicher gewesen. Die Ideen und die experimentellen Daten hatten noch nie zusammenpassen wollen.
»Nein. Das kann nicht sein. Jedes Gehirn entwickelt von dem Moment an, in dem die ersten Zellen sich teilen, seine eigenen Muster und Verbindungen. Bis wir erwachsen sind, unterscheiden wir uns bei allen Gemeinsamkeiten sehr stark. Wenn Sie zwei Menschen fragen, was eine Katze ist, erhalten sie wahrscheinlich die gleiche Antwort, aber wie sie über die Antwort nachdenken, kann völlig unterschiedlich sein. Sie bearbeiten die Muster anders, die Kommunikation zwischen den verschiedenen Teilen des Gehirns unterscheidet sich. Und selbst wenn wir jeden identisch machen würden, mit jedem Moment, der vergeht, erzeugen neue und einmalige Erfahrungen neue und einmalige Strukturen, sodass sie nicht gleich bleiben würden. Das ist das größte Problem, mit dem wir zu kämpfen hatten. Aber jetzt …« Sie unterbrach sich. »Das darf ich Ihnen nicht sagen.«
»Jetzt haben Sie eine Lösung gefunden«, riet er.
Sie lächelte unfroh und wandte den Kopf zur Seite, um durch das Fenster eines Restaurants zu blicken, in dem normale Leute mit alltäglichen Problemen aßen und tranken.
»Und das ist ein Teil Ihres Projekts. Eines großen Projekts, das vom Militär finanziert wird. Zur Gedanken- und Identitätskontrolle.« Er nickte. »Ich schätze, das schlägt meine Aktendeckel-Geschichte, obwohl ich nicht gedacht hätte, dass jemand noch etwas Besseres zu bieten hätte.«
»Aber diese Disk gehört nicht zum Projekt«, verbesserte sie ihn sanft. »Sie ist eine … eine Raubkopie. Abfall. Aber sie kann nur durch jemanden, der zum Projekt gehört, ermöglicht worden sein. Und nach allem, was Sie sagen, hat man dieses Raubprogramm schon erprobt. Die Sache ist nun so: An wem auch immer man es getestet hat, er muss mit NervePath-Technik
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