Mappa Mundi
zurückgelegt, und es war ihm gelungen, seinen Magen in Ordnung zu halten (sein Blutalkohol schützte ihn vor dem Schlimmsten), als Natalie ihn anrief.
»Dan!« Ihre Stimme klang aufgeregt und scharf, sodass er keinen Einwand erheben konnte. »Ich gehe heute Abend lieber zum alten Haus. Ich schaffe es nicht in den Swan. Wir sehen uns morgen.«
Morgen war ein Samstag. Bis dahin musste er Shelagh Carter angerufen haben.
Dan schwankte und folgte dem Flecken Pflaster, den er noch wahrnahm.
»Dan, ist alles in Ordnung? Du siehst scheußlich aus. Setz dich doch in ein Taxi und komm ebenfalls her.«
Doch er begriff allmählich. Wenn sie mit Soundso zum alten Haus ging, hatte sie wahrscheinlich etwas vor, wozu sie Ruhe brauchte, besonders vor einer wohlmeinenden Nervensäge wie ihm. Natalie hatte seit acht Monaten nicht die kleinste Verabredung mehr gehabt, und er wusste schon gar nicht mehr, wann das letzte Mal jemand bei ihr übernachtet hatte. Mitleid für sie erfüllte ihn, ein warmes und liebevolles Gefühl, selbst wenn der Bursche, mit dem sie sich verabredet hatte, sich als international gesuchter Spion oder Terrorist entpuppen sollte.
»Nein, nein«, sagte Dan. »Ist okay. Ich bin ja schon auf dem Nachhauseweg. Wir sehen uns morgen.« Was immer mit ihm nicht stimmte, es konnte warten, bis sie zurück war.
Nachdem das beschlossen war, schaltete er ab und wandte sich nach links, wo man überaus vorausschauend ein erhöhtes Blumenbeet angelegt hatte, in das jemand, der nichts vertrug, sich bequem erbrechen konnte.
An den Samstagen, die Mary Delaney in Washington verbrachte, spielte sie im The Lansdale Racquets and Clubs regelmäßig Tennis. Der Klub war exklusiv, neue Mitglieder wurden sehr genau ausgesucht. Sie war stolz, wenn sie das Tor durchquerte und der beeindruckenden Kieszufahrt folgte, denn als Kind hatte sie auf Plätzen gespielt, die aus mehr Unkraut als Ziegelmehl bestanden; die Bälle waren kaum gesprungen, und es hatte kein Netz gegeben, nur eine Wäscheleine, die so dünn war, dass man sie von den Enden des Spielfelds aus kaum sehen konnte.
Ihr Samstagmorgentermin war regelmäßig um zehn und zog stets eine geschäftliche Besprechung während des Mittagessens nach sich. Sie fand entweder in einem Fünf-Sterne-Speisesaal statt oder abgeschieden in einer mit Stieleichenholz getäfelten Privatsuite, deren raumhohe Fenster aus Panzerglas auf das ausgedehnte Grün der Spielbahn mit achtzehn Löchern blickten, und dabei fühlte sich Mary beinahe wohl.
Auf dem Platz öffnete sie an diesem Morgen eine Flasche eiskaltes Mineralwasser aus dem Kühler und nahm ein paar Schluck; das Kondenswasser benetzte ihr die Hand. Sie wischte die Feuchtigkeit am Handtuch ab und prüfte den Griff ihres Schlägers, während sie darauf wartete, dass ihr Gegner, Miles Roseck aus dem Büro des Senators von Montana, sich die Schnürsenkel doppelt zugeknotet hatte.
Miles war ein präziser, intelligenter Mensch und wusste, dass Mary für Special Sciences arbeitete. Gewiss rechnete er damit, dass sie mit ihm über die Reaktion des Bundesstaates auf die FBI-Untersuchung im Fall Deer Ridge sprechen wollte. Sie bewunderte den kräftigen Schwung des Streckmuskels an seinem Oberschenkel; ohne Zweifel plante er eine ähnliche Musterung bei ihr. Im Moment jedoch genügte es, sich auf das rote Ziegelmehl zu konzentrieren, das Gefühl für den Ball zu bewahren und ihre Aggressionen abzubauen, indem sie so fest zuschlug, wie sie nur konnte. Der Hundesohn, der das Dossier gestohlen hatte, und der Druck, den Dix ihr seither machte, verliehen ihr ungeahnte Energie.
Beide begannen sich aufzuwärmen, und Mary stellte währenddessen ihren Spielplan für den Nachmittag auf.
Die Akten über die Vorgezogene Erprobung Deer Ridge (Kodename CONTOUR) hatte sie zweimal lesen müssen, bevor ihr klar wurde, dass sich der gesamte Problemfall Mappa Mundi bereits auf einen neuen Schauplatz verschoben hatte.
Diesmal ging es weder um die Fortschritte, die der Irak auf dem Gebiet von NervePath machte, noch um die chinesischen Erfolge bei der Verhaltenssteuerung von Tieren (in den Bars von Peking servierten nun Hamster die Getränke, indem sie die Gläser auf dem Rücken balancierten, und in Kanton sprangen die Fische aus dem Aquarium durch Reifen aus gefärbten Flammen direkt in die Bratpfanne), und auch nicht um das ständige Durchsickern und Abkupfern innerhalb der Gemeinschaft der militärisch starken Mächte, was so gängig geworden war, dass
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