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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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landete. Dennoch war die Gefahr, dass man das Gerät vielleicht doch orten konnte, einfach zu groß. White Horse durfte es nicht mitnehmen; es musste in Judes Wohnung bleiben. Sie würde fliehen, um ihre Verfolger so weit wie irgend möglich von dem Gerät wegzulocken.
    Eins hatten Jude und sie gemeinsam: Ordentlichkeit. White Horse brauchte nur ein paar Minuten, dann hatte sie in der Besenkammer Judes Werkzeugkasten gefunden. Selbst in diesem kleinen Verschlag waren die Ecken staubfrei, und alles stand an seinem Platz, als würde es nie benutzt. Sie empfand Mitleid mit Jude; selbst sein eigenes Haus entzog sich ihm. White Horse spürte, wie sehr sie selbst maßgeblich dazu beigetragen hatte, dass er seiner eigentlichen Natur den Rücken kehrte. Mit dieser leeren Wohnung zahlte er den Preis dafür – ein Zuviel der Strafe. Sie begriff nicht, weshalb er es nicht spürte, oder wenn doch, weshalb er blieb. War er so halsstarrig, dass er nicht über seinen Stolz hinwegsehen und nach Hause kommen konnte? White Horse vermisste Jude. Sie hatte ihn immer vermisst, besonders während der langen Sommer, in denen er auf seiner teuren Schule oder bei seiner Mutter war. Sie hätten sich nicht so trennen dürfen. Sie und er waren von einem Blut. Seine Wasichu- Hälfte konnte nicht der Kern des Menschen sein, den sie kannte. Diese Hälfte konnte nicht gewinnen.
    White Horse öffnete den Werkzeugkasten und hob die Einsätze heraus. Sie nahm an sich, was sie brauchte, und breitete alles auf dem glatten, an eine Schneedecke erinnernden Teppich aus, der keine Spur der Zeit zeigte. Dann ging sie an ihre Tasche und holte das Gerät heraus.
    Unter seinen modernen abstrakten Ölbildern und dem Schaukasten mit altem Knochenschmuck, teils Navajo, teils Apache, teils Cherokee, teils Cheyenne – vor dem eisigen Hintergrund der Wände zu einem Flüstern gedämpft –, bürstete sich White Horse ihre langen, synthetischen Dreadlocks auf die Seite und begann, das Gerät in seine Einzelteile zu zerlegen.
    Zu ihrer Freude sah sie, dass das stumpfschwarze Gehäuse nicht aus der Massenfabrikation stammte, sondern eigens angefertigt worden war. Das bedeutete, dass es schwieriger war, es ohne Beschädigung zu öffnen, dafür aber ließe es sich hinterher umso leichter wieder zusammenbauen. Es war von vornherein darauf ausgelegt, gewartet oder ergänzt zu werden, und mit einigen geschickten Drehungen der zierlichen Schraubenzieher lag es offen vor ihr, ohne dass die Flächen auch nur einen Kratzer bekommen hatten.
    In dem Gehäuse fand sie mehrere Platinen, wie sie für die meisten elektronischen Apparate typisch waren. Wenn sie das Gerät weiter zerlegte, war es vielleicht nutzlos, falls sie es je vor Gericht als Beweis benötigte; man würde sagen, sie hätte es gefälscht. Doch im Grunde war es dadurch noch einfacher.
    Sie schraubte das Innenleben los und entnahm es als Ganzes, dann brachte sie es in die Küche und wog es. In das Gehäuse packte sie das gleiche Gewicht an Pappstückchen, die sie aus einem Cornflakes-Karton schnitt, und legte eine Pad-Batterie dazu. Die Schalter und die Kontroll-LED setzte sie wieder ein und verband sie mit der kleinen Batterie aus ihrer Armbanduhr. Als sie fertig war, sah das Maschinchen aus wie immer; wenn man den Schalter drückte, leuchtete die LED auf … nichts geschah, aber so war es immer gewesen, soweit White Horse sagen konnte. Es musste beschädigt sein.
    Das Gehäuse steckte sie wieder in die Handtasche. Das Innenleben des Geräts lag noch immer auf dem Teppich. White Horse blickte sich um und überlegte, wo in den Wänden ein Hohlraum sein mochte, in den Decken, in den Möbeln. Wie viel Platz war unter dem Fußboden? Wohin mit den Innereien des Geräts? Wo konnte sie das Zeug verstecken, bis es gebraucht wurde? Sie bewegte sich still durch die luftigen Zimmer, berührte Wände, Türen, Schränke, betastete die Böden mit den bloßen Füßen, öffnete sich ganz der Anleitung und wartete auf eine Gefühlsänderung, die ihr sagte, dass sie das Versteck gefunden hatte.
     
    Um fünfzehn Uhr war für Mary Delaney ein Gespräch mit Michail Guskow angesetzt. Dix verhandelte niemals direkt mit Lieferanten. Dafür hatte sie ein Team von Unterhändlern, die sie sich mit dem Verteidigungsministerium teilte. Mary zählte zwar nicht zu ihnen, doch sie hoffte, in deren Reihen aufzurücken, sobald ihre Aufgabe innerhalb des FBI erledigt war und sie Mappa Mundi im Sack hatten. Deshalb hatte sie Dix überredet, sie

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