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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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bloßen Füßen in den Luxusteppich einsank und mit welcher Leichtigkeit die Fasern sich wieder aufrichteten, sobald sie weitergegangen war. Bislang hatte sie nicht einmal geahnt, dass solche Teppiche existierten, und noch seltsamer war es dann, einen davon im Haus ihres eigenen Bruders vorzufinden – nur eine von tausend Bequemlichkeiten, Kinkerlitzchen und Apparätchen, die anzuschaffen ihr niemals eingefallen wäre.
    Zuerst war sie entzückt davon gewesen, doch nun verabscheute sie den Kram ausnahmslos. Die Wohnung war ein Vorzeigeobjekt, aber leer. Die Apparätchen machten das Leben leichter, verlangten aber eine Dienstpflicht, eine Geldzahlung – jedes kam mit Verbindlichkeiten, vom Mixer bis zum Druckduschkopf mit seinen zwanzig Massageeinstellungen. Ihre Existenz allein brannte White Horse auf der Seele.
    Jude – es fiel ihr schwer, vom ihm noch als Mo’e’ha, Magpie, zu denken, seit er sie nach diesem Streit verlassen hatte – war erst ein paar Tage fort. Einen Tag länger hielt sie sich nun schon hier auf. Dennoch spürte sie förmlich, wie das FBI aufholte. Mühelos war es ihr von Deer Ridge zu dieser Wohnung gefolgt, und bald tauchten seine Beamten in Übermacht auf und schleppten sie davon. White Horse kannte das FBI und seine Methoden. Die Agenten waren so nahe, dass White Horse sie beinahe riechen konnte. Trotzdem musste sie abwarten. Unerträglich.
    Auf dem glatten Glas des Couchtisches verkündete die übersichtliche, handgroße Schaltfläche des Haus-Anrufbeantworters, dass sie zahlreiche Nachrichten habe. White Horse wagte es nicht, den Apparat zu benutzen oder Anrufe entgegenzunehmen. Sie sah nicht fern und spielte keine Musik oder Spiele und benutzte nichts in der Wohnung außer dem Badezimmer und der Küche. Ihr eigenes PocketPad hatte sie so eingestellt, dass es zwar die Anrufer festhielt, aber sonst nichts tat. Am vergangenen Abend hatte sie zum Einkaufen das Haus verlassen, war zurückgekommen und hatte gekocht. Jetzt rochen die Räume stärker nach Chili als nach Möbelpolitur; mehr Spuren wollte sie nicht hinterlassen. Ihre Tasche stand immer bereit, ihre Stiefel standen stets neben der Tür.
    Aber wie lange sollte sie noch warten? Jude hatte sie einmal angerufen und eine Pad-Nachricht ohne Stimme und ohne Video hinterlassen. Er hatte nicht mit ihr sprechen wollen, und dieses eine Mal verübelte sie es ihm nicht einmal. Er hatte geschrieben: Scheint, dass du Recht hattest. Lass es verschwinden.
    Vor vier Stunden war die Nachricht eingetroffen. Obwohl White Horse sie schon beim ersten Mal verstanden hatte, hatte sie die Worte immer wieder gelesen. Das hässliche schwarze Ding hatte sie trotzdem nicht verschwinden lassen. Nun, da Jude das Programm hatte, stellte es den einzigen Beweis dar, den White Horse besaß, und auf keinen Fall wollte sie sich davon trennen. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie ihrem eigenen Bruder hundertprozentig traute – hängte er sein Mäntelchen vielleicht doch nach dem Winde und übergab das Programm seinen Vorgesetzten? Andererseits enthielt seine Mitteilung in ihrer Kürze und in ihrem Weg über gewöhnliche Hausleitungen ein Element der Weisheit. Sie sollte das Gerät verstecken. Seit vier Stunden überlegte sie, wohin sie unentdeckt gehen könnte, wo es vielleicht sicher wäre. Nichts wollte ihr einfallen.
    Nachdenklich kratzte sie sich die juckenden, verheilenden Brandnarben, bevor sie sich besann, es zu unterlassen. Fluchend zuckte sie zusammen, als der Schmerz in Händen und Armen brüllend zum Leben erwachte. Sie ging in die Küche, nahm eine Tablette gegen die Schmerzen und rieb sich behutsam Salbe auf die Haut. Plötzlich war ihr klar, dass es auf der ganzen Welt keinen Ort gab, wohin sie gehen konnte. Die Wohnung war nur so lange sicher, wie niemand wusste, dass sie dort war, und das konnte nicht ewig andauern. Man würde die Ausgänge beobachten und die KI-Systeme zur Überwachung der öffentlichen Bereiche des Gebäudes dazu anhalten, alles Ungewöhnliche zu registrieren. Man konnte ihr Bild, ihre Akte und alles, was man über sie wusste, direkt an den nächsten Streifenwagen übermitteln.
    Darüber hinaus fand das FBI – oder wer sonst in die Sache verwickelt war – möglicherweise heraus, dass Jude sich gar nicht in Seattle aufhielt. Das Gerät musste mit einer Art Peilsender ausgestattet sein, aber wenn dem so war, funktionierte er nicht mehr. Vielleicht hatte sie diesen Sender zerstört, als sie bei der Flucht auf ihrem Haus darauf

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