Mara und der Feuerbringer Band 2 - Das Todesmal
dass es noch nicht vorbei war, also blieb sie still.
»Ja, Mara, du kannst nicht nur sehen, was anderen verborgen bleibt. Die ganze Zeit über hast du viel mehr bewirkt. Du hast die Grenze zwischen Realität und Mythen verwischt, Dinge von der einen in die andere Welt und wieder zurückgebracht. Du fühlst das Wasser im Boden und lässt es dir zu Willen sein, sprichst mit sagenhaften Wesen und sie zu dir, lässt mich nur durch Handauflegen an allem teilhaben und reist in die Hölle und zurück. Nein, das geht weit, weit über all das hinaus, was uns selbst in den wildesten Übertreibungen von germanischen Seherinnen berichtet wird«, sprach Professor Weissinger weiter und zeigte jetzt ganz plötzlich auf Mara, als hätte er sie gerade erst entdeckt. »Du! Du kannst viel mehr als nur sehen und die Beten haben es als Einzige erkannt: Du kannst nicht nur sehen. Du kannst Seiðr wirken, Mara!«
»Sei… Seith… thsr?«, versuchte Mara, das Wort nachzusprechen, scheiterte aber kläglich an dem th, das ihr schon im Englischunterricht kaum über die Lippen kam.
»Ja, Seiðr , altnordisch für Zauber . Du hast magische Kräfte! Und ich kann dir gar nicht sagen, wie bedeutend diese Erkenntnis ist. Es erklärt so viel und eröffnet gleichzeitig so viele unglaubliche Möglichkeiten, dass die Karten nicht nur neu gemischt werden, sondern wir auch gleich ein neues Kartenspiel erfinden müssen. Verstehst du?«
Mara schüttelte nur den Kopf und der Professor lachte übermütig. »Natürlich nicht, denn jetzt bin zur Abwechslung ich mal wieder dran und ich muss sagen, es fühlt sich trotz Prellungen und Rippenstechen ganz gut an, ha! Du bist spákona und seiðkona, Seherin und Zauberin! Du bist wahrlich einzigartig, Mara. Und ich sage dir noch was.« Der Professor griff Mara mit beiden Händen an die Schultern und sah mit leuchtenden Augen direkt in die ihren. Dann erst wisperte er leise, aber feierlich: »Wenn du nicht die Götterdämmerung aufhalten kannst, Mara Lorbeer von der Au, dann kann das niemand.«
Davon kommen Frauen, vielwißende,
Drei aus dem See dort unterm Wipfel.
Urd heißt die eine, die andre Werdandi:
Sie schnitten Stäbe; Skuld hieß die dritte.
Sie legten Looße, das Leben bestimmten sie,
Den Geschlechtern der Menschen,
das Schicksal verkündend.
Teil 2
Kapitel 1
D er Anschiss von Mama war fast schon epochal gewesen. Mara hatte das Handy mal wieder nicht eingeschaltet, Mama hatte sich Sorgen gemacht und wusste gar nicht, wie recht sie damit hatte.
Der Professor allerdings war zur Höchstform aufgelaufen. Er konnte die Wogen tatsächlich wieder glätten, indem er die gesamte Schuld auf sich nahm. Er behauptete, Mara zu dem Ausflug auf die Burgstall Karlsburg genötigt zu haben. Der Aufstieg sei dann ja auch ganz gut gelaufen, aber dann kam eben dieser plötzliche Platzregen. Der hatte erstaunlicherweise genau an der oberen Hälfte des Hanges seine Grenze gehabt. Unten am Forsthaus war ja schließlich kein einziger Tropfen gefallen. Verrückt, nicht wahr? Aber meteorologisch absolut im Bereich des Möglichen, denn jede Regenwolke hört ja irgendwo auf. Dass er sich dann beim Abstieg, oder besser gesagt Abrutsch, sauber auf die vier Buchstaben gesetzt und so mindestens eine Rippenprellung vom Berg mit heruntergebracht hatte, wusste er genauso unterhaltsam zu verpacken wie ihren generell eher schlammigen Zustand.
Mara hatte mit wachsendem Staunen zugesehen, wie Professor Weissinger ihrer Mutter mit Charme, Witz und Überzeugungskraft erst ein Lächeln, dann ein Grinsen und schließlich sogar ein lautes Lachen entlockt hatte.
Doch Maras Bewunderung wurde begleitet von einem faden Beigeschmack auf der Zunge. Es gefiel ihr nämlich plötzlich gar nicht mehr, dass der Professor so ein geschickter Lügenbold sein konnte. Okay, er tat es für eine gute Sach e – und diese Sache war Mara selbs t –, und ja, er hatte Mara inzwischen schon ein paar Mal aus der Patsche geholfen.
Aber da war eben auch noch diese Geschichte zwischen ihm und Mama. Und nur mal gesetzt den Fall, aus den beiden würde glatt ein Paa r – atmen, atmen, atmen!
Puh. Also mal angenommen, das würde wirklich passiere n … Mara wollte doch auf keinen Fall einen begabten Lügner an Mamas Seite, oder? Wenn überhaupt, dann hatte gerade Mama einen Menschen verdient, der ihre Leichtgläubigkeit eben NICHT ausnutzte und ganz im Gegenteil genau deswegen immer und überall ehrlich zu ihr war.
Oder übertreib’ ich jetzt und kann froh sein,
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