Mara und der Feuerbringer
Wissenschaft entsprechen. Noch einmal: Der Mann kann niemals Loki gewesen sein, denn mit dem Suebenknoten bist du mal eben ein paar hundert Jahre zu früh. Es gibt überhaupt keinen Nachweis aus dieser Zeit, dass damals schon irgendwer an Loki geglaubt haben könnte. Hier!«
Der Professor knallte ein sehr stark gebrauchtes Buch so auf den Schreibtisch, dass Mara von dem Knall zusammenzuckte. Zielsicher schlug er eine Doppelseite auf. Darauf war eine Steintafel abgebildet, auf der die grobe Zeichnung eines Gesichts zu erkennen war.
»Hier! Das ist Loki! Auf einem Stein aus Dänemark, 1000 Jahre
nach
Christi Geburt! Kein Suebenknoten! Und warum auch, denn Tacitus beschreibt den Suebenknoten ganze
900
Jahre zuvor! Und da bezieht er sich auch noch auf viel ältere Berichte! 900 Jahre später lief keiner mehr mit einem Suebenknoten herum. Nicht einmal dann, wenn er einen Hang zu längst vergangenen Modeerscheinungen hatte! Loki wird nirgends mit einem Suebenknoten abgebildet – ganz egal, wie trotzig du jetzt sagst, dass du das aber genau so gesehen hast!«
»Ich hab’s aber so gesehen«, sagte Mara trotzig.
Professor Weissinger wurde laut: »Das darf doch nicht wahr sein! Du bist ja starrköpfiger als alle meine Studenten zusammen! Weißt du was? Es spielt sowieso überhaupt keine Rolle, welche Frisur du dem alten Loki an die Rübe dichtest, denn wir wollen hier mal eines festhalten: Du
kannst
Loki nicht gesehen haben, und sag jetzt nicht
habichaba
– denn das hast du nicht! Loki ist eine mythische Figur aus den germanischen Göttersagen! Entstanden irgendwo zwischen dem neunten und zwölften Jahrhundert nach Christus. Und darum fischt dieser Halbgott ganz sicher nicht neunhundert Jahre zuvor verkleidet als suebischer Fischer irgendwo im Trüben rum!«
Der Professor kam jetzt richtig in Fahrt. Er sprang auf und nutzte die eineinhalb Meter zwischen seinem Stuhl und dem nächsten Bücherstapel, um aufgeregt hin und her zu laufen und zu sich selbst zu murmeln: »Kommt hier rein, erzählt mir, sie hat Loki gesehen, und wirft mal eben einfach so die Jahrhunderte durcheinander. Ja, wo kommen wir denn da hin, wenn sich jeder seinen Loki so zusammenbauen darf, wie er gerade möchte! Das hier ist ernsthafte Wissenschaft und kein Götter-Lego!«
»Aber«, sagte Mara und sprach gar nicht erst weiter, denn der Professor würde ihr sowieso gleich wieder ins Wort fallen. Wie recht sie doch hatte.
»Und wenn du aberst bis du schwarz wirst, macht es das alles nicht richtiger, zum Teufel noch mal!« Er tigerte in seinem kleinen Büro hin und her, wie man hier nur tigern konnte, wenn man wusste, wohin man den Fuß setzen durfte. Das Ganze wirkte dann zwar weniger tigerhaft als vielmehr storchengleich, aber das war dem Professor gerade ziemlich egal. »Ich habe keine Ahnung, was du gesehen hast, kleine Frau, und zugegeben: Ich weiß auch nicht, wo du das alles aufgeschnappt hast, aber dafür gibt es viele Erklärungen. Für Loki mit einem Suebenknoten gibt es aber nun mal weniger als null! Du hast dir da irgendwas in deinem Kopf zusammengebraut und durcheinandergebracht! Woher du all diese Mythen kennst, weiß ich nicht, aber dazu gibt es ja Bücher, Fernsehen und Internet!«
Professor Weissingers Gesicht war noch ein wenig röter geworden und er atmete auch etwas tiefer nach diesem Vortrag. Anscheinend wurde ihm erst jetzt wieder bewusst, dass er nicht vor seinen Studenten stand, sondern vor einem 14-jährigen Mädchen.
Und diesem Mädchen stiegen jetzt die Tränen in die Augen. Sie konnte doch auch nichts dafür und hatte zu keiner Sekunde darum gebeten, Visionen über germanische Götter zu haben! Mara hatte sich ganz andere Dinge gewünscht: Dass sie sich unsichtbar machen könnte, wenn Larissa sie mal wieder auf dem Kieker hatte. Oder dass sich an ihrer Zimmertür ein dicker Pfannkuchen befände, durch den sich Mama erst einmal fressen musste, bevor sie hereinplatzte. Oder dass ihr Papa mal wieder anrufen würde! Was auch immer, auf jeden Fall wollte sie ganz sicher nie eine Seherin sein! Wenn überhaupt, dann das Gegenteil, denn Mara sah auch so schon viel zu viel, verdammt noch mal!
Warme Tränen liefen über ihre Wangen, als sie ganz leise sagte: »Ich schwöre, dass ich nicht lüge.«
Und plötzlich war es sehr still in dem kleinen Büro und man hörte nichts als das leise Schniefen eines 14-jährigen Mädchens.
Der Professor schaute zu, wie sie das Glas mit dem staubigen Wasser abstellte und sich dann wortlos
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