Mara und der Feuerbringer
Atomstrom-Bomben-Klima-Öl-Abholz-Dummheiten den Göttern sogar noch zuvorkommen.«
»Da bin ich mir gar nicht mehr so sicher«, sprach Mara mehr zu sich selbst als zum Professor, doch der hatte sie sehr wohl gehört.
»Wie, bitte, darf ich das nun verstehen?«
»Na ja«, antwortete Mara zögerlich. »Reicht es vielleicht, wenn ich sage, dass es da jemanden gibt, der anderer Meinung ist? Der sozusagen glaubt, dass das Ende der Welt mehr oder weniger … also sozusagen …direkt, also sehr, sehr direkt bevorsteht. Wegen Loki. Weil der einen Weg gefunden hat, seine Fesseln zu lösen. Und dass dieser Jemand, der das erzählt hat – oder vielmehr hat ausrichten lassen –, auch jemand ist, dem ich das glaube? Obwohl ich gar nicht weiß, wer er ist? Würde Ihnen das vielleicht für den Moment genügen?«
»Nein«, antwortete der Professor sehr bestimmt und ein wenig gereizt. »Das genügt mir schon allein deswegen nicht, weil ich genau weiß, dass da noch viel mehr ist, was du mir nicht erzählen willst, Mara Lorbeer! Ich weiß bis jetzt nur, dass du etwas über Lokis Bestrafung wissen wolltest. Und dass du von Loki geträumt hast, wie er ganz entgegen aller historischen Befunde in Suebentracht das Fischernetz erfindet. Ach ja, und natürlich, dass du die Midgardschlange so gezeichnet hast, wie sie irgendwer zwölf Jahrhunderte zuvor in einen gotländischen Stein geritzt hat. Ich hatte ehrlich gesagt ein wenig darauf gehofft, dass das alles heute eher etwas klarer wird und nicht noch verworrener, wenn du verstehst was ich meine! Also entweder du erzählst mir jetzt einfach alles, was es von deiner Seite zu diesem Thema zu erzählen gibt, oder wir brechen das Gespräch an dieser Stelle ab und warten von mir aus geduldig auf die angeblich unmittelbar bevorstehende
Ragnarök
! Ich hier in meinem Bücher-Inferno und du zu Hause in der Au.«
Okay, das war’s, jetzt gibt’s wirklich kein Zurück mehr, dachte Mara. Und bevor sie es sich anders überlegen konnte, nahm sie innerlich Anlauf, atmete tief ein … und hatte auch schon angefangen zu reden.
Der Professor unterbrach sie dabei kein einziges Mal. Er hörte nur zu, blinzelte ab und an, wie um zu zeigen, dass er noch lebte. Nur einmal wechselte er seinen Sitz behutsam in eine etwas bequemere Position, als hätte er Angst, Mara mit einer zu überraschenden Bewegung am Reden zu hindern.
Aber Mara hatte ganz und gar nicht vor, mit dem Reden aufzuhören. Sie wollte auf keinen Fall riskieren, dass sie bei der kleinsten Unterbrechung der Mut verließ und sie daraufhin kläglich verstummen würde. Und ob sie sich dann noch einmal aufraffen konnte, weiterzuerzählen oder doch lieber das Ende der Welt in Kauf nahm. Also redete Mara wie ein Wasserfall auf den Professor ein und versuchte die ganze Zeit über, sich nicht vorzustellen, für wie bekloppt er sie jetzt vielleicht hielt.
Eine geschlagene Stunde später beendete eine heiser gequatschte Mara ihren Monolog mit den Worten: »… und jetzt bin ich hier, habe Halsweh und, nein danke, ich möchte kein Wasser und auch keinen Kakao.«
Augenblicklich trat genau das ein, wovor Mara sich die ganze Zeit über gefürchtet hatte.
Die peinliche Pause.
Oh, wie sie diese Momente hasste! Egal, ob sie nur Details erzählte oder alles und noch mehr – jedes Mal passierte das Gleiche: Sie hörte auf zu reden, Stille trat ein, der Professor sah sie komisch an und die verstreichende Zeit verwandelte sich in eine zähe Masse.
Mannomann, diese peinlichen Pausen hab ich sowas von satt, dass es satter schon gar nicht mehr geht!, schimpfte Mara in sich hinein. Und gleichzeitig formte sich eine Idee in ihrem Hinterkopf, die so verblüffend einfach war, dass sie sich nicht einmal die Mühe machte, sie zu Ende zu denken!
Ha, das mach ich!, dachte sie nur, griff entschlossen nach der Hand des Professors und zog ihn quer durch den kleinen Raum. Dortnämlich stand auf einem roh behauenen Holzsockel ein Objekt, das sie bereits kannte: das Schiffchen mit den zwei Figuren, von denen eine am Bug stand und eine Art Kuhkopf an einem Seil über Bord hielt.
Mara streckte die freie Hand aus, nahm das kleine Kunstwerk hoch und suchte gleichzeitig nach dem Gefühl vom Vortag, als sich der kleine Junge vor Larissas Augen in eine Spinne verwandelt hatte. Sie spürte, dass es diesmal nicht darauf wartete, auszubrechen. Vielmehr musste sie danach tasten, als würde sie unter ihrem Bett nach einem heruntergefallenen Stift suchen. Und natürlich war der
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