Márai, Sándor
ist, das zählt.
Duvernois hat zweiundsechzig Jahre hindurch leichte, ganz leichte Geschichten verfasst. Als hätte er sie auf Zigarettenpapier geschrieben. So luftig, leicht und wenig anspruchsvoll waren sie. Ich weiß mich an keine seiner Geschichten zu erinnern. Doch wenn ich während einer Fahrt oder im Kaffeehaus in irgendeiner französischen Zeitschrift auf seinen Namen stieß, begann ich stets mit viel Interesse seine Texte zu verschlingen. Die Geschichten hatten etwas, das an Mozart erinnerte. Er wollte ja nicht viel. Aber für jede einzelne seiner Zeilen – und das ist das Geheimnis, das den wahren Schriftsteller ausmacht – bürgt der ganze Mensch.
Bei seinem Tod musste ich daran denken, dass mit ihm ein Autorentyp ausgestorben ist, den sich nur eine große, reiche Literatur leisten kann: der »leichte« Schriftsteller, der nicht deshalb als »leicht« gilt, weil er nichts zu sagen hat, sondern weil die Art, in der er etwas sagt, bescheiden und elegant ist. In der Literatur gibt es so etwas wie einen Grenzbereich, mit dem nur Experten vertraut sind, eingeweihte Leser sozusagen, die selbst schon irgendwie Literaten sind. Es gibt die »große« Literatur, die stets gewissermaßen in Eisen und Harnisch daherkommt, sich hohen Idealen verpflichtet fühlt, überheblich und unbarmherzig ist. Und dann ist da die Liebhaberliteratur, die auf süßliche Art verkündet, dass die Welt trotzdem schön ist, die Menschen – im Grunde – doch gut sind, der Bankier das Schalterfräulein heiratet und sich am Ende, in Hollywood, alles zum Besten wendet. Zwischen diesen beiden schwebt die Literatur Duvernois’. Er frönt nicht hehren Idealen. Er würdigt die Literatur nicht herab auf das Kinoniveau von Dilettanten. Spricht vielmehr über das Leben mit demütigem Realitätssinn und so melodiös, als würde er seinen Text auf einem Musikinstrument zum Vortrag bringen. Diese Kunstgattung wird immer seltener. Was er geschrieben hat? Lauter ausgezeichnete Bücher, deren Titel mir entfallen sind.
MAUGHAM
Somerset Maugham, der hervorragende Dramatiker, der sich zur Ruhe gesetzt hat, erklärte:
»Nichts ist natürlicher, als dass ein Gentleman von Geschmack über ein gewisses Alter hinaus das Stückeschreiben lässt.«
LANDSCHAFTEN
Ich erinnere mich an eine Niederung, die von kleinen Seen, mit Schilf und Mooren überzogen war. Wie trübselig diese Landschaft ist! Nur Stechmücken und Unken können hier existieren. Wo bin ich dieser Landschaft begegnet? Den Namen dieses Landstrichs könnte ich nicht nennen, und auch auf der Landkarte kann ich ihn nicht zeigen. Doch irgendwann einmal war ich dort, mit verzehrender Verzweiflung im Herzen.
Meine Erinnerung an Landschaften ist erstaunlich gut und scharf fixiert. Es ist das eine spezielle Landkarte, die das Leben für das Gedächtnis zeichnet. Ich erinnere mich an wilde, schwüle Gärten, in denen ich niemals gewesen bin. Es sind schaurige Erinnerungen: Wir sind Wanderer und Abenteurer, wandeln auch ohne Reisepass durch die Welt, wandern über Niederungen, durch ein Leben, dessen wahre Grenzen wir nicht genau kennen.
LANDKARTEN
Nun, da die Geschichte die Geografie neu zeichnet, ist es auch für die Schriftsteller an der Zeit, anzupacken und die Landkarte der Seele neu zu entwerfen. Das Wien, das Barcelona oder Madrid, das Peking, an das wir uns erinnerten, gibt es nicht mehr. Etwas Neues, Anderes steht an ihrer Stelle. In der Seelenkartografie fließen die Grenzen ineinander. Anstelle der alten entstehen neue Städte, neue Erinnerungsblöcke. Der Schriftsteller erinnert und besinnt sich. Nimmt Maß an der Zeit und an der Welt. Setzt Erinnerungsstückchen aneinander. Das ist seine Aufgabe.
DIE SCHEINTOTE
Als Ábrándi zu altern begann und schon ganz so war wie der Held in einer der letzten Krúdy-Erzählungen – eigentlich interessierten ihn nur noch sein Bauch und das Pferderennen, doch auf seinen verdächtigen volkswirtschaftlichen Wegen schleppte er immer noch Briefe von Frauen und Gedichtbände mit sich herum –, hat er sich in eine Frau verliebt und kapituliert. Sie war vierundzwanzig, liebte, pflegte, fütterte und hätschelte den alternden Ábrándi hingebungsvoll. Sie lebten nicht ganz ohne Sorgen, denn die Frau verdiente nicht viel: Nachmittags und abends mimte sie bei einem Fakir im Vergnügungspark eine Scheintote.
Die Frau liebte Ábrándi wirklich von Herzen. Sie starb mehrmals täglich für ihren Herzliebsten, um ihn dann, aus dem Scheintod ins Leben
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