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Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die vier Jahreszeiten
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mit Händen und Füßen? Die Dinge werden dir nachfolgen, dich umspinnen, dich einkreisen. Eines Tages musst du erfahren, dass alles, was du geplant, gewollt hast, überflüssig und nebensächlich war, und das, wovor du geflohen bist, dich eingeholt hat, dich zur Stellungnahme zwingt. Sorge dich nicht, die Welt lässt dich nicht los. Halte inne. Atme. Es genügt nicht, sich zu besinnen. Lerne endlich zu vergessen.
    GESELLSCHAFTSLEBEN
    Dieser taktlose Mensch, der um eine Spur gesitteter sitzt, lacht, sich für den Mokka bedankt, keinem ins Wort fällt, die Asche seiner Zigarette niemals auf den Teppich schnippt, genau das sagt, was niemanden und nichts auf diesem Erdenrund beleidigen könnte, der ist das Schwein, das genauso ist, wie es sich Knigge vorgestellt hat, Tölpelhaftigkeit, die nicht weiß, dass das beispielhaft Wohlerzogene eine Abart der Ungezogenheit ist! Während ich nur lebe, mich quälend, stöhnend oder ungebührlich, lebt er, in der gleichen Situation, »das Gesellschaftsleben«. Er ist kein Herr und auch kein Mensch. Etwas anderes, irgendetwas Konfektioniertes, fürs Schaufenster: ein Herrenmensch.
    DIE IHN FINDEN
    Denn auch in der Liebe ist Gott gegenwärtig, ja auch in der irdischen Liebe, in der Sinnenfreude. Nur die Feigen und die Vorsichtigen wagen nicht, ihn da zu suchen, wo das Leben am lautesten und mit all seiner Kraft zu uns spricht. In der Liebe spüre ich den Hauch Gottes; und dieser mein Gott trägt keinen Bart, hat auch keinen Köcher mit Pfeilen bei sich. Die Liebenden finden Gott; spüren seinen Blick auf sich und wissen, dass er sie sieht und ernst dabei ist.
    GESCHICHTE
    Diese Wochen, in denen sich die Menschen, heimlich, auf den Tod vorbereiten, wie auf eine exotische Gesellschaftsreise. Sich über Gifte den Kopf zerbrechen. Alte Pistolen reinigen. All das sachgemäß, beinahe gleichgültig.
    UNTER DEN STERNEN LEBEN
    Leben, unter den Sternen, im Herbst, dem honigsüßen Herbst, wandeln inmitten des Dufts der Weinkeller, das Gesicht im Frauenhaar baden, an dem Friedhof vorübergehen, wo mein Vater ruht, aufwachen in einem Hotel garni, den Vorhang über dem Fenster betrachten und die Tapete des letzten Jahrhunderts, den verblühenden, vom Regen aufgeweichten Park durchqueren, am dämmrigen Himmel den Sternen nachspüren, leben, leben.

NOVEMBER
    Die Jugend träumt und weiß über die Jahreszeiten nichts Gewisses. Für sie wechselt lediglich die Szenerie, ändern sich nur die Kulissen für das strahlende Spiel des Lebens. Sie sehen das Jahr wie ein Schauspiel in vier Akten. Wenn das Lebensgefühl der Jugend langsam schwindet, fangen wir an, auf äußere Veränderungen sensibel zu achten: Im November ist nicht nur unsere Haut empfindlich, sondern auch unsere Seele. Es geschieht etwas, das uns beunruhigt. In den Winter treten wir in diesen Tagen ein, als wäre wirklich wieder ein düsterer Sagenkreis zum Leben erweckt. Der Winter ist gleichzeitig Sagenkreis und Höhle, ein bisschen Krankheit, ein wenig Urbanität, und er umfasst zugleich Robben und Walrosse, durchreisende ausländische Sänger, Schneeräumer mit Diplom, es sind darin Kamillentee, Glühwein und ängstliches Warten enthalten, als wären wir allein geblieben in der Welt, allein mit unserem Schicksal, das bereift und düster ist. Vor allem – und in erster Linie – frieren wir. Wie die Menschen einer mittelalterlichen Stadt, die ohne Vorwarnung angegriffen wurden, bereiten wir uns fiebernd und irgendwie kopflos auf die Verteidigung vor: Wir ordern Kohlen, lüften unsere warmen Klamotten und verkleiden uns mit den Kostümen des Winters, haben Angst vor etwas. Wir fürchten uns nicht nur vor der Kälte. In unseren Träumen dämmert noch ein grausames Erlebnis, die Erinnerung an die Eiszeit. In der Kindheit haben wir gern in einem Buch mit farbigen Zeichnungen geblättert, es hieß: Freuden des Winters . Die Bilder zeigten einen Großvater beim Schlittschuhlaufen, weiß und rosarot, mit steifem Hut auf dem Kopf, wie ein närrischer Schneemann, allerorts klingelten Schlittengespanne, die verschneiten Bäume standen violett flimmernd in der Abendsonne. All das ist vorbei. Die Sommer und die Winter haben uns gelehrt, dass der Winter keine »Freuden« hat, es gibt kein anderes wahres Leben als diese heidnische, wilde Freude, die alles mitreißt, was lebt, wenn Licht darauf fällt. Im November fange ich an, beleidigt zu leben. Es beginnt die Zeit der literarischen Lesungen, die mich langweilen, es beginnt dieses sanatoriumhafte,

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