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Marais-Fieber

Marais-Fieber

Titel: Marais-Fieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Lautlosigkeit eines Maulwurfs vor.
    Irgendwo in der Nähe schlug
eine Kirchturmuhr. Das dumpfe Echo folgte. Im Gegensatz dazu wirkte die Stille
danach noch tiefer. Plötzlich hallten eisenbeschlagene Absätze auf dem Asphalt
wider. Das war aber kein Lakai von Jean-sans-Peur; auch keiner von diesen
Nachtwächtern, den Zeitansagern der damaligen Epoche, die die Schlafenden
weckten, um ihnen mitzuteilen, sie könnten unbesorgt weiterschlafen. Dies hier
war ganz einfach nur ein Betrunkener des 20. Jahrhunderts. Er ging auf der
anderen Straßenseite vorbei, ohne mich zu sehen, und entfernte sich schwankend
in die Rue des Hospitalières-Saint-Gervais.
    Die niedrige Tür war mit einem
Vorhängeschloß versehen. Ich überprüfte dessen Haltbarkeit und hatte es
sozusagen sofort in der Hand. Ohne Zögern stieß ich die Tür auf. Der verhaltene
Klagelaut war kaum zu hören.
    Ich zog die Tür hinter mir zu.
Einen Augenblick lang blieb ich auf einem Fleck stehen und horchte in die
Dunkelheit, an die sich meine Augen nach und nach gewöhnten. Die Straßenbeleuchtung
drang durch die oberen Fenster und verbreitete ein diffuses Licht. Also konnte
es mit den Decken zwischen den Etagen nicht weit her sein.
    Ich riß ein Streichholz an.
Dann noch eins und noch eins. Fast eine ganze Schachtel ging dabei drauf. So
langsam gewann ich eine Vorstellung von den Örtlichkeiten hier.
    Der Wille, den kleinen Palast
von Königin Isabeau zu renovieren, hatte sich auf ein neues Dach beschränkt.
Danach hatte man die Arbeiten abgebrochen; wahrscheinlich beanspruchten sie
zuviel Zeit. Bauschutt bedeckte den Boden oder, besser gesagt, was von ihm
übriggeblieben war. Mit den vielen Löchern sah er aus wie ein Schweizer Käse.
Zehn Zentimeter vor meinen Füßen führte eine schmale, steile Treppe in den
Keller. Einfach so, ohne Warnung. Ein heimtückisches Verlies. Wie im
Mittelalter. Ein Glück, daß ich mir nicht gleich beim Hereinkommen den Hals
gebrochen hatte. In einer Ecke stand eine wacklige Leiter, über die man zu den
Überresten der oberen Etagen gelangen konnte. Zu den Füßen der Leiter lag eine
Zeitung. Ich ging hin. Bei jedem Schritt drohte ich hinzufallen oder in ein
Loch zu plumpsen. Ich hob die Zeitung auf: eine neuere Ausgabe des Crépuscule, aufgeschlagen auf der
Seite „Verschiedenes“ und so gefaltet, daß mir der Artikel über Cabirols Tod
sofort ins Auge sprang.
    Darauf war ich nicht gefaßt
gewesen. Ganz was Neues!
    Über mir verschwand die Leiter
in der gähnenden schwarzen Öffnung einer Falltür. Ein Stück der Klappe hing aus
dem Loch heraus. Das wollte ich mir doch mal näher ansehen. Ich kletterte also
hoch. Die kleine Kammer diente als Schlafzimmer. Kein Himmelbett, kein
Edelfräulein mit Schlafhaube. Nein. Nur ein ärmliches Lager aus Zeitungen und
Decken. Niemand darauf. In einer Ecke ein paar Konservendosen, leere und volle.
Dazu noch weitere Zeitungen.
    Ich hörte auf, Streichhölzer
anzureißen. Erstens brauchte ich noch welche, um heil wieder zum Ausgang zu
kommen. Zweitens kann man wunderbar ohne Licht nachdenken.
    Diesen Luxus (ich spreche jetzt
vom Nachdenken) gestattete ich mir nicht lange. Kaum war es wieder dunkel um
mich herum, meinte ich, unten ein gelbliches Licht zu sehen. Nicht im
Erdgeschoß, noch weiter unten. Im tiefen Keller.
    „Heda!“ rief ich. „Ist da
jemand?“
    Keine Antwort. Das Licht
bewegte sich nicht.
    Auf die Gefahr hin, abzustürzen
und alles mit mir in die Tiefe zu reißen, beugte ich mich vor. Sah aus wie eine
große Stablampe. Lag auf einem aufgebuddelten Stück Boden und beleuchtete
irgendetwas. Ich stieg hinunter, um nachzusehen. Es war tatsächlich eine sehr
starke Stablampe, die aber immer schwächer wurde. Das robuste Modell war durch
den Aufprall nicht kaputtgegangen. Was man von seinem Besitzer nicht sagen
konnte. Die Lampe beleuchtete nämlich einen Schuh, und in dem Schuh steckte ein
Fuß. Ich nahm die Lampe in die Hand und ließ den Lichtstrahl über den
ausgestreckten Körper gleiten. Da ich weder vor noch in der Ruine was gehört
hatte, hatte ich mich für keine zwei Pfennig mehr um Maurice Badoux gekümmert.
    Jetzt war er keinen roten
Heller mehr wert.

10

Badoux schafft
Platz
     
    Mit ihren Galgenvogelgesichtern
sahen sie aus wie Scharfrichter. Um das Bild abzurunden, kaute einer von den
beiden auf einer Zigarette, der andere roch nach billigem Fusel. Aber sie kamen
nicht im fahlen Morgengrauen, um mich abzuholen, sondern kurz nach Mittag —
genau als Hélène und

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