Marais-Fieber
Liebe und Haß bei Trapezkünstlern.
Erstens zu melodramatisch, zweitens zu abgelutscht. Ich such was Originelles.“
„Jedenfalls... wenn Sie doch
was darüber schreiben sollten, erzählen Sie nicht, woher Sie’s haben...“
Er vertiefte sich in das Bild
eines Clowns mit hochgezogenen Augenbrauen. Dann:
„Verstehen Sie? Ich bin hier,
um die Zeit totzuschlagen. Sie kreuzen hier auf. Ich stürz mich auf die
Gelegenheit und schlag schon mal ‘ne Viertelstunde tot. Ich quatsch was aus,
was ich eigentlich nicht darf. Das hier ist nicht mein Büro. Ich bin auch nicht
der Pressesprecher. Ich sitz nur hier rum und paß aufs Telefon auf und
vertröste die Besucher, bis der wiederkommt, der sonst hier sitzt. Aber ich hab
mich so gelangweilt!“
Vertrauen gegen Vertrauen.
Eigentlich hätte ich ihm jetzt sagen müssen, daß ich auch kein Journalist bin.
Tat ich aber nicht. Ich finde, zwei Menschen, die was anderes sind, als sie
vorgeben, können sich nur belügen. Ein richtiger Zirkus eben!
* * *
An diesem Tag blieb Maurice
Badoux nicht bis zum Schluß im Staatsarchiv.
Nach meinem Besuch bei der
Schlafmütze im Zirkus war ich wieder in die Rue Francs-Bourgeois gegangen. Er
verließ gerade das Clisson, ging aber nicht sofort nach Hause, sondern in
Richtung Seine. Der Programmwechsel war ganz in meinem Sinne. Ich folgte
Badoux.
Er führte mich zum Basar am
Hôtel de Ville. Nicht auf direktem Weg. Bevor er zu dem Basar kam, ging er in
einige Bistros. Mußte wohl irgendetwas begießen. Im Basar dann folgte ich ihm
ins Tiefparterre. Gartengeräte, Heimwerkerbedarf. Mein Student kaufte sich
verschiedene Werkzeuge, darunter eine Art zerlegbare Hacke.
Erst hatte er eine Leiche
entdeckt; wollte er jetzt eine verbuddeln? Wahrscheinlicher war es, daß die
alten Dokumente ihn zu einer Stelle geführt hatten, wo der „Schatz“ vergraben
war. Und jetzt wollte er sich an die Ausgrabung machen. Eine andere Erklärung
fiel mir im Moment nicht ein. Der Student mit der Denkerstirn mußte schließlich
sehr wohl wissen, was er tat. Und vielleicht existierte dieser Schatz
tatsächlich... In der Rue Mouffetard, in Saint-Wandrille und woanders hatte man
doch auch was gefunden, oder?
* * *
Den Vater rief ich nicht noch
einmal an. Dafür bezog ich vor der Wohnung des Sohnes Stellung. Lange nach
Mitternacht kam er endlich heraus, in der Hand seinen ständigen Begleiter, die
Ledertasche.
In diesem geschichtsträchtigen
Viertel beschwört jeder Schritt Erinnerungen herauf. Dazu verlieh die
nächtliche Stille den leeren Straßen, durch die ein leichter Wind wehte, eine
eigentümliche Feierlichkeit. Mir war so, als wandelte ich in einer vergangenen
Epoche.
Die menschenleeren Straßen
erleichterten nicht gerade meine sehr neuzeitliche Arbeit. So wenig, daß mein
Student mich tatsächlich abhängte. Geschickte Umwege in einem Labyrinth von
kleinen Gäßchen, die er offenbar wie seine Westentasche kannte, und er war weg. Entweder hatte der mißtrauische Kerl gemerkt, daß
er verfolgt wurde, oder aber er hatte das Glück des Schwachsinnigen.
Und wenn schon! Bei meiner
Hausdurchsuchung hatte ich durch seine Dokumente und Notizen genug erfahren. So
ungefähr konnte ich mir denken, wohin er ging. Isabeau von Bayern! Die Frau
vergißt man nicht so leicht. Ich konnte mir den Luxus gestatten, Maurice Badoux
eine Riesenüberraschung zu bereiten. Und mir ein Stück von dem Kuchen
abzuschneiden, falls es einen Kuchen gab.
Wie sagte noch Alexandre Dumas?
Auf zur Tour Barbette! Oder so ähnlich.
* * *
Ecke Rue Vieille-du-Temple
stand der Turm Wache. Seine schlanke Gestalt hob sich gegen den sternklaren
Frühlingshimmel ab.
Ein neues graues Dach schützte
die Ruine, die vielleicht restauriert werden sollte. Hier und da unterbrachen
Schießscharten im Erdgeschoß das grobe Mauerwerk. Ein Kinoplakat löste sich von
der Mauer. Der Wind ließ den straffen Busen der darauf abgebildeten
Schauspielerin wogen. Außer diesem hintergründigen Atmen war kein Geräusch zu
hören. Das Viertel lag in völliger Stille. Sogar die Gespenster bewegten sich
lautlos. Kein Kettenrasseln verbreitete Angst und Schrecken. Die Fenster der
ersten Etage mit den verzierten Einfassungen waren zugemauert. Darüber gähnten
schwarze Löcher.
Ich ging zu der niedrigen Tür,
der einzigen, durch die man ins Innere des düsteren Gebäudes gelangte.
Lauschte. Stille. Wenn Maurice Badoux da drinnen Erdarbeiten verrichtete, dann
ging er mit der erstaunlichen
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