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Marais-Fieber

Marais-Fieber

Titel: Marais-Fieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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schlich
ich mich in den Zirkus ein. In einem Büro spürte ich dann einen jungen Burschen
auf, der sich krampfhaft bemühte, einen gelangweilten Eindruck zu machen. Zu
Tode, mindestens. Das Büro war mit Plakaten tapeziert und roch nach Sägemehl,
wenn man nur eifrig genug schnüffelte.
    „Was gibt’s?“ fragte der zu
Tode Gelangweilte, um dann sofort zu gähnen. Seit meinem letzten Besuch im
Raubtiergehege des Zoos hatte ich keinen so schönen Rachen bewundern können.
    „Dalor“, stellte ich mich vor.
„Journalist beim Crépu. Können Sie mir was über das nächste Programm erzählen?“
    „Vielleicht sehn Sie mal auf
das Plakat.“
    Mit dem Daumen zeigte er über
seine Schulter. Jede Bewegung brachte ihn um.
    „Schreiben Sie sich die Namen
raus“, schlug er vor. „Die Adjektive können Sie sich selbst ausdenken. So
machen das alle.“
    Herzhaftes Gähnen.
    Ich las das Plakat. Freitag, 14. April — Sensationelle Premiere. Das war in
einer Woche. Ich hatte mir meinen kleinen Auftrag rechtzeitig geangelt. Auf
verstreuten Sternen verschiedener Größe glänzten Namen in schreienden Farben.
Auch der meines alten Freundes Michel Seldow, des zauberhaften Zauberkünstlers.
Dann der Star aus Amerika: MISS PEARL, die Königin auf dem fliegenden Trapez, and partner.
    „Die hat doch hier schon im
November Schönwetter gemacht, oder?“
    „Genau“, nickte der
gelangweilte Langweiler.
    „Sie hätten nicht vielleicht
ein Foto?“
    Nach etwa einem Dutzend
Fehlversuchen öffnete er die richtige Schublade. Kannte sich anscheinend nicht
gut aus. Dann legte er einen ganzen Packen Fotos auf den Schreibtisch. Immer
gähnend. Traf nicht mal eine Auswahl. Diese Mühe überließ er mir. Ich fand
schnell, was ich suchte: das Foto eines bezaubernden Mädchens, platinblond. Zum
Anbeißen. Das tiefe Dekolleté war noch tiefer, weil sie sich ein wenig
vorbeugte, damit dem Betrachter nichts von der Aussicht entging. Dabei trug sie
nicht mal ihre Berufskleidung. Miss Pearl wollte eben ständig Schwindel erregen.
Ein schönes Beispiel von permanentem Pflichtbewußtsein, auch außer Dienst. Als
Kenner wußte ich das zu schätzen.
    „A propos Fotos“, sagte ich,
steckte das der Künstlerin ein und zeigte dem Jungen dafür Jacquiers Foto.
„Dieser Mann soll...“
    Ich zwinkerte ihm zu.
    „...Wir von der Presse sind
neugierig und indiskret.“
    Er gähnte:
    „Wer ist das?“
    „Einer, der sich selbst
verschwinden läßt.“
    „Kenn ich nicht.“
    „Flattert immer drum herum,
wird erzählt.“
    „Worum?“
    „Um Miss Pearl.“
    „Ach! Der ist das?“
    „Haben Sie was von dem gehört?“
    „Zirkusluft aus der
Gerüchteküche. Hab’s nicht glauben wollen.“
    „Warum nicht?“
    „Wegen Mario.“
    „Mario?“
    „ and partner ...“
    Er zeigte auf das Plakat hinter
seinem Rücken.
    „...Irgendeiner muß sie ja
auffangen, wenn sie durch die Luft fliegt, zwanzig Meter über der Manege.“
    „Hm... Dann ist sie sicher
nicht an einem Streit mit dem Partner interessiert?“
    „Kann man nicht grade sagen.“
    „Verheiratet, die beiden?“
    „Glaub nicht.“
    „Aber schlafen zusammen?“
    „Sieht so aus.“
    „Eifersüchtig?“
    „An seiner Stelle wär ich’s.“
    „Vielleicht ist er’s ja nicht.
Das Publikum geht vor, wenn Sie verstehen, was ich damit meine.“
    „Versteh ich.“
    „Anscheinend mit ihr
durchgebrannt.“
    „Wer?“
    „Jacquier.“
    „Jacquier?“
    „Der auf dem Foto hier.“
    „Mit wem durchgebrannt?“
    „Miss Pearl.“
    „Hab sie nicht zum Bahnhof
gebracht...“
    Er gähnte wieder.
    „...Jedenfalls ist alles in
Butter. Die Truppe tritt vollständig wieder an... Vielleicht ist Mario
tatsächlich nicht eifersüchtig. Und wenn der Kerl da Moos hatte „Hat Mario
dafür ‘ne Antenne?“
    „Jeder hat dafür ‘ne Antenne.
Mario besonders. Die erste Woche wird er hier umsonst arbeiten müssen,
sozusagen.“
    „Schulden?“
    „Haben Sie keine?“
    „Malen Sie den Teufel nicht an
die Wand.“
    „Das klingt aber komisch. Hören
Sie mal Er schien wachzuwerden. Nur die Langeweile auf seinem Gesicht wurde
noch tödlicher.
    „...Sie verdienen Ihr Geld
damit, Klatsch und Tratsch plattzuwalzen...“
    Jetzt hatte er tatsächlich
Grund für die stinkende Langeweile.
    „Beruhigen Sie sich“, sagte
ich. „Ich hör mich so um, weil...wenn ein Journalist nicht informiert ist, wer
dann, hm? Tu ich aber nur für mein Privatvergnügen. Hab nicht für zwei Pfennig
Lust, irgendwas darüber zu schreiben.

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