Marais-Fieber
ihn, weil er sich mit seinem Vater überworfen hatte.
Und den Vater tadelte sie, weil er seinen Sohn für einen Versager hielt. Sie
hoffte, daß er damit Unrecht hatte. Der Neffe hatte den Brief beantwortet und
die Kopie davon aufbewahrt, ordnungsliebend, wie er als ständiger Besucher des
Staatsarchivs war. Es sei denn, ich hielt den Originalbrief in der Hand, den er
nach gründlicher Überlegung doch nicht abgeschickt hatte. Im wesentlichen versicherte er, nicht der Taugenichts zu sein, wie urbi et orbi verkündet wurde, und sich sehr gut alleine
zurechtfinden zu können, ganz ohne Hilfe. (Bis auf den monatlichen Wechsel
natürlich!) Zum Schluß ließ er mehr oder weniger deutlich durch-blicken, daß
eine Geldanweisung willkommen sei.
Ich legte den Briefwechsel
wieder an seinen Platz. Als nächstes untersuchte ich die kleine Bibliothek.
Nichts Lustiges. Kathedralen in
Frankreich , Schätze aus
Stein, Paris, wie es früher war usw. Eins der Bücher war ganz
zerfleddert. Zwei oder drei Seiten waren rausgerissen. Die Bilder hingen jetzt
hinter Glas über dem Bett.
Maurice war ein Bücherwurm und
ein poetischer Steinbeißer. Er lebte zwischen alten Mauern und verschlang
Bücher über alte Mauern, um im Bild zu bleiben. Das hatte mir sein Vater schon
so ungefähr zu verstehen gegeben. Nichts Neues also. Nicht das kleinste Licht
fiel auf seine Beziehungen zu dem verstorbenen Cabirol.
Jetzt tauchte ich in den Haufen
Papier ein, der den Schreibtisch bedeckte. Resultat: Negativ.
Mehr Glück hatte ich mit dem
Aktenordner aus Pappleinen. Die vielen vergilbten Schriftstücke wurden
zusätzlich durch einen Riemen zusammengehalten. Ich fand eine Reihe Dokumente
in lateinischer Sprache, die ich gar nicht erst übersetzen wollte. Ich hätte
wieder zur Schule gehen müssen, und dazu blieb mir keine Zeit. Außerdem wurde
in den Schulen, die ich besucht hatte, kein Latein unterrichtet. Einige Papiere
waren an den Rändern angesengt, so als hätten sie einen Brand überstanden.
Andere schienen durchgeweicht gewesen zu sein, gewellt und furchtbar muffig.
Ich sah auch gotische Schriftzeichen und, hier und da, einen altfranzösischen
Satz.
Aus einem Briefumschlag zog ich
eine ganze Sammlung von Zeitungsausschnitten sowie Seiten aus zwei
verschiedenen Büchern, nach den unterschiedlichen Drucktypen zu urteilen. Eins
dieser beiden Bücher handelte von der Herrschaft Isabeaus von Bayern, das
andere von Nicolas Flamel. In den Zeitungsartikeln war von verschiedenen, wenn
auch ziemlich ähnlichen Dingen die Rede: In der Rue Mouffetard war in einem
baufälligen Haus bei den Abbrucharbeiten eine Truhe mit Dukaten und Dublonen
entdeckt worden. Der Fund hatte damals vor dem Krieg viel Aufsehen erregt und
noch nach der Okkupation die Gerichte beschäftigt; in der Abtei von
Saint-Wandrille hatten Pfadfinder den Pfad zu so was Ähnlichem gefunden (was
nicht so lange her war); schließlich noch ein dritter Fund, diesmal hier im
Viertel, in der Rue Vaucanson. Wieder der gleiche Krempel. Ein Plan und
hingekritzelte Notizen im Telegrammstil gaben mir endgültig Aufschluß über die
einigermaßen bescheuerten Interessen von Maurice Badoux.
Er suchte einen Schatz! Den der
Königin oder den des selbsternannten Schriftstellers und Alchimisten.
Vielleicht auch beide. Es kostete dasselbe. Entweder er buddelte auf eigene
Rechnung oder...oder für Cabirol. Im zweiten Fall war es angebracht, meine
Vermutung zu überprüfen. Vielleicht war das Ganze gar nicht so bescheuert, wie
es aussah. Cabirol konnte man alles anhängen, außer daß er ein Spinner gewesen
war. Und die alten Dokumente, über denen sich Maurice Badoux den schweren Kopf
mit der breiten Gelehrtenstirn zerbrochen hatte-und noch zerbrach... Na ja!
Hätte mich nicht übermäßig erstaunt, wenn sie aus dem Staatsarchiv geklaut
waren! Und zwar von Badoux höchstpersönlich, dem Liebhaber von alten Mauern und
allem, was damit zu tun hat.
Warum nicht?
* * *
Von der nächstbesten
Telefonzelle rief ich Badoux senior an. Seine Sekretärin teilte mir mit, er sei
gerade in einer Konferenz. Sie gebe wohl die Nachricht weiter, falls ich eine
hätte.
„Ich versuch’s später noch
mal“, sagte ich.
„Aber nicht vor achtzehn Uhr,
bitte. Wie war noch der Name?“
„Nestor Burma.“
Mir blieb nichts übrig, als
alles so weiterlaufen zu lassen. Niemand würde mir davonfliegen. Jetzt wollte
ich an meine Zerstreuung denken und Zirkusluft schnuppern, wie die Kinder.
Ohne groß zu fragen,
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