Marathon Mosel
Platzwunde am Hinterkopf. Vier Stiche. Das Hämatom am Hals hat mich stutzig gemacht. Der Patient war kaum ansprechbar. Er stand unter Schock. Wir haben ihn beruhigen können. Nun schläft er.«
»Rufen Sie uns an, wenn er aufwacht.«
»Das kann dauern.«
»Haben Sie ihm was zum Schlafen gegeben?«
»Gott bewahre. Der hat die ganze Nacht gefeiert und dabei sicher die ein oder andere Pille eingenommen. Der brauchte keine Einschlafhilfe.«
*
Lutz hatte sich schlafend gestellt. Zum zweiten Mal für heute kamen ihm seine schauspielerischen Erfahrungen zugute. In der Theater-AG seiner Schule war er anfangs der Totalversager gewesen. Er konnte sich keine Texte merken und hatte nie seine Mimik im Griff gehabt. Immerzu musste er blöd grinsen, weil ihm die ganze Sache irgendwie peinlich war. Bis er die Rolle bekam, in der er glänzen konnte. So verrückt es sich anhörte, aber selbst die Leiterin der AG, eine verhinderte Dramaturgin, die aus Versehen Theologie studiert hatte, lobte ihn in den höchsten Tönen für seine Darbietung. Und es war keine Ironie dabei, dazu war die gute Dame, die mit Leidenschaft Kriminalstücke aufführte, überhaupt nicht in der Lage.
Lutz war die perfekte Leiche.
Seine Lehrerin meinte, er sei so perfekt in dieser Rolle, dass man sich fast genötigt sähe, nach der Aufführung eine Wiederbelebung an ihm vorzunehmen.
Die Rolle hatte ihm auch im späteren Leben schon geholfen. Einmal war er beim Sprayen von einem stinksauren Hausbesitzer ertappt und mit brutalen Schlägen zu Boden gestreckt worden. Wer weiß, zu was der wütende Mann noch fähig gewesen wäre, wenn Lutz sich nicht tot gestellt hätte.
Heute früh war es noch knapper gewesen. Er hatte die Pistole in der Hand des Typen gesehen und gedacht, seine letzten Sekunden hätten geschlagen. Aber dann hatte der Kerl nur an seiner Kamera rumgefummelt. Genau wie die Bullen, die soeben mit der Ärztin aus der Tür gegangen waren.
Lutz schwang die Beine aus dem Bett. Er stand mit nackten Füßen auf dem kühlen Linoleumboden. Sofort baute sich Druck in seinen Schläfen auf und strahlte von dort auf seine Augen und zur Schädeldecke hin aus. Er stützte sich mit beiden Händen auf dem Tisch in der Mitte des Raums ab. Keuchend starrte er auf den weißen Bezug der Matratze und wartete, bis die rotierenden Punkte vor seinen Augen verschwanden.
Im Schrank lagen seine Klamotten. Er zog sich die Hose an und schlüpfte in seine Turnschuhe. An der Cordjacke war die Schulter mit dunklem Blut verkrustet. Die konnte er vergessen. Er warf sie in den Schrank zurück. Auch am Pulli, den er behutsam über den Kopf zog, klebte am Ansatz der Kapuze Blut.
Auf dem Gang stülpte er die Kapuze über den Kopf. Durch die Scheibe des Stationszimmers sah er einen Pfleger. Der Mann drehte ihm den Rücken zu. Das Treppenhaus war leer. Vor dem Eingang musste Lutz sich auf ein Mäuerchen setzen und gegen die erneut aufkommende Übelkeit ankämpfen.
*
»Scheiße.« Robert deutete auf einen durchsichtigen Beutel auf dem Fußboden. »Er ist weg.«
»Wer ist weg?« Gabi sah auf den Inhalt, ein schmutziges Stoffbündel.
»Dieser Lutz.«
»Das kann doch nicht sein!«
»Ist aber so, verdammte Scheiße, hätte ich doch nicht auf dich gehört und gleich den Kram aus seiner Tasche mitgenommen.« Robert schlug mit der flachen Hand auf seinen Schreibtisch. Ein Stapel Fotos rutschte zur Seite. Er hielt sie auf, bevor sie zu Boden fielen.
»Wir hatten keinen Durchsuchungsbefehl. Gefahr war auch nicht im Verzug. Wir hätten ihn höchstens unter Beobachtung stellen können. Aber dann hätte uns Stiermann zur Minna gemacht. Bei dem, was hier los ist, können wir weiß Gott niemand dafür abstellen, einen Sprayer zu beschatten.«
»Aber jetzt ist er weg und ich hab’ nur das da.« Robert wies wieder auf den Beutel.
»Was ist denn da drin?«
»Seine Jacke.«
»Gib her«, Gabi streckte ihm den Arm entgegen. »Ich bring sie zur SpuSi. Die vom Krankenhaus müssen doch auch an dem Typen interessiert sein. Die wollen doch sicher die Behandlung und den Krankenwagen abrechnen.«
»Fehlanzeige. Ich hab’ noch nicht mal eine halbwegs brauchbare Personenbeschreibung.«
»Und die Ärztin?«
»Die ist nach vierzehn Stunden Dienst nach Hause gefahren.«
*
»Rob hat …«
»Hör mir bitte mit deinem Robert auf«, unterbrach Walde seine Kollegin Gabi, die wie immer ohne anzuklopfen in sein Büro gekommen war. Er war noch sauer wegen des in der Zeitung abgebildeten Tatortfotos.
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