Marathon
Schritttempo
über die letzte Zeitmessung vor dem Ziel schleppten. Einige
gingen nur noch, hielten sich die Hüfte, weil sie von
Seitenstichen geplagt waren. Die dicke Familie neben ihm feuerte
sie an, nicht hämisch, sondern in der ehrlichen Absicht, sie
wieder in Trab zu bringen. »Du schaffst es!«, rief der
Mann, während der Rest der Familie rhythmisch
klatschte.
Warum lasst ihr es
nicht einfach?, dachte Gröber dagegen.
Er entdeckte ihn
rechtzeitig. Gassmann lief in gleichmäßigem Schritt und
zügig auf das Tor zu, in dem wie durch Zauberhand die
Zwischenzeiten gestoppt wurden. Sein Kopf war rot angelaufen, doch
er wirkte fit, fast entspannt, in jedem Fall aber, fand
Gröber, war er zu schnell. Warum musste er eigentlich allein
hier stehen? Warum hatte er keine Verstärkung
gerufen?
»Ich habe
ihn«, gab er per Funk durch und steckte das Funkgerät in
die Jackentasche. Er trippelte ein wenig auf der Stelle.
»Keine Panik«, machte er sich Mut. »Der Mann hat
dreißig Kilometer hinter sich, da werde ich ja wohl ein
bisschen neben ihm herlaufen können.«
Als Gassmann das Tor
erreichte, rannte er los. Eine Frau in Rosa wäre fast
gestolpert, weil er sie aus dem Tritt gebracht hatte. Gröber
überhörte ihr Fluchen und setzte sich neben
Gassmann.
»Hören Sie,
Herr Gassmann. Ich bin von der Polizei, Gröber ist mein
Name«, rief er ihm zu. Was für eine verrückte
Situation, in die man ihn da gebracht hatte. »Ich muss mit
Ihnen sprechen.«
Gassmann schaute ihn
überrascht an. Er fand das, was passierte, offensichtlich
nicht weniger seltsam als Gröber.
»Wir glauben,
dass Sie in Gefahr sein könnten.« Noch kamen ihm die
Worte leicht über die Lippen. »Wir möchten Sie
bitten, das Rennen zu beenden.«
»Warum?«,
fragte ihn Gassmann.
»Das ist alles
ein wenig schwierig so im Laufen zu erklären. Vielleicht geben
Sie mir wenigstens ein paar Minuten.«
»Reden
Sie.«
»Ich meine, im
Gehen.«
Gassmann lachte laut
auf. »Wollen Sie auf mich aufpassen?«, fragte er
amüsiert.
»Nein. Ich will,
dass Sie aufhören zu laufen«, antwortete Gröber. Er
hatte sich nicht getäuscht, Gassmann war ganz schön
schnell.
»Ich werde das
nicht tun, Herr …«
»…
Gröber«, hechelte Gröber.
»Herr
Gröber. Sie können mich gern ein Stück begleiten.
Wie viel werden Sie schaffen?«
Wie konnte dieser Mann
nach dreißig Kilometern noch so flüssig reden? Das
Funkgerät schlug Gröber permanent gegen den
Hüftknochen. Es schien immer schwerer zu werden.
»Sie
machen«, schnaufte Gröber, »es mir nicht
einfach.«
»Sie müssen
gleichmäßig atmen, den Atem im ganzen Körper
spüren und dann ganz bewusst beim Ausatmen sprechen. Sonst
kommen Sie aus der Puste und müssen
aufgeben.«
»Mensch,
Gassmann. Sie bringen sich in Gefahr. Vielleicht. Ich meine, Sie
gehen ein gewisses Risiko ein, wenn Sie ins Ziel
laufen.«
»Warum?«
»Ihre Freunde
aus alten Zeiten sind ermordet worden, es könnte Ihnen genauso
gehen.«
»Im
Ziel?«
Gröber
stöhnte. Was für ein Unsinn? Nicht nur, dass er hier
neben einem durchtrainierten Marathon-Läufer rennen musste. Er
musste ihn auch noch von einer völlig abwegigen Idee
überzeugen. Warum sollte jemand Ingo Gassmann im Ziel ermorden
wollen?
Weil er den
Kopfhörerknopf nicht im Ohr behalten hatte, bekam er nicht
mit, wie Remmer durchgab, dass sie Randberg vorläufig
festgenommen, aber keine Waffe bei ihm gefunden hatten. Gröber
hätte wohl sofort den Rückweg zum Auto angetreten. Sie
bogen in die Riehler Straße ein. Die Strecke führte
zurück in die Innenstadt.
»Keine Ahnung.
Es geht doch nur um Ihre Sicherheit. Wir wollen, dass nicht noch
jemand sterben muss.«
»Machen Sie sich
um mich keine Sorgen. Mit geht es gut.«
Gröber
überlegte, ob er Gassmann nicht einfach ein Beinchen stellen
sollte.
»Wie alt sind
Sie?«, fragte ihn Gassmann unvermittelt.
»Warum«,
grunzte Gröber, »wollen Sie das
wissen?«
»Ich glaube,
dass wir ungefähr gleich alt sind. Deshalb frage ich. Wenn man
Menschen in derselben Lebensphase trifft, fragt man sich immer, was
einen unterscheidet. Und wenn man es herausbekommt, möchte man
wissen, warum es diese Unterschiede gibt. Verstehen Sie? Man
möchte die Welt erklären.«
Sie überholten
eine blau-weiß-gelb gestreifte Raupe, in der vier Läufer
steckten, die trotz des Kostüms ein hohes Tempo
durchhielten.
»Also, was haben
Sie anders gemacht als ich?«
Gröber
ärgerte sich nur einen kurzen Moment über die Arroganz
seines
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