Marc Levy
»phantastisch«, dass er sie sehen, hören und sogar anfassen könne. Arthur hatte einen anstrengenden Tag hinter sich und war nicht zu Scherzen aufgelegt.
»Hören Sie, es reicht. Ist das vielleicht ein kleiner Streich meines Partners? Wer sind Sie? Ein Callgirl mit den besten Wünschen zur Wohnungseinweihung?«
»Sind Sie immer so unverschämt? Sehe ich etwa aus wie eine Nutte?«
Arthur seufzte.
30
»Nein, Sie sehen nicht aus wie ein Nutte, aber Sie sind in meinem Wäscheschrank versteckt, und es ist fast Mitternacht.«
»Nebenbei bemerkt sind Sie es, der nackt ist, nicht ich!«
Arthur erschrak, griff sich ein Handtuch, wickelte es um seine Hüften und versuchte, sich seine Verlegenheit nicht anmerken zu lassen. Dann sagte er mit etwas lauterer Stimme:
»Also, hören wir auf mit dem Spielchen, Sie kommen jetzt raus aus dem Schrank, gehen nach Hause und sagen Paul, dass das ziemlich daneben war, wirklich ganz schön daneben.«
Sie kannte Paul nicht und bat ihn, nicht so zu schreien.
Schließlich sei sie auch nicht taub, eher die anderen, die sie nicht hörten, sie dagegen höre sehr gut. Arthur war müde und verstand überhaupt nichts. Sie schien sehr durcheinander; er hatte gerade seinen Umzug hinter sich gebracht und wollte einfach nur seine Ruhe haben.
»Seien Sie so gut, nehmen Sie Ihre Sachen und gehen Sie nach Hause. Und kommen Sie endlich aus dem Schrank raus.«
»Moment, Moment, das ist gar nicht so einfach, ich bin noch nicht perfekt, obwohl es in den letzten Tagen immer besser geworden ist.«
»Was ist in den letzten Tagen immer besser geworden?«
»Machen Sie die Augen zu, ich versuch's.«
»Was versuchen Sie?«
»Aus dem Schrank herauszukommen, das wollten Sie doch, oder? Also machen Sie die Augen zu, ich muß mich konzentrieren, und seien Sie mal für einen Moment still.«
»Sie sind ja völlig übergeschnappt!«
»Nun hören Sie aber mal auf, so unfreundlich zu sein, seien Sie still und machen Sie die Augen zu, sonst sind wir morgen früh noch nicht fertig.«
Arthur gehorchte fassungslos. Zwei Sekunden später vernahm er eine Stimme aus dem Wohnzimmer.
»Nicht schlecht, genau neben das Sofa, aber immerhin.«
Er stürzte aus dem Bad und sah die junge Frau im 31
Wohnzimmer auf dem Boden sitzen. Sie tat so, als wäre nichts geschehen.
»Sie haben die Teppiche liegen lassen, das gefällt mir, aber das Bild da an der Wand ist scheußlich.«
»Ich hänge die Bilder auf, die ich will, wo ich will, und ich würde jetzt gerne schlafen gehen. Wenn Sie mir also partout nicht sagen wollen, wer Sie sind - sei's drum, aber verschwinden Sie jetzt! Gehen Sie nach Hause!«
»Ich bin zu Hause! Vielmehr, ich war. Das ist alles so verwirrend.«
Arthur schüttelte den Kopf. Er erklärte ihr, dass er diese Wohnung vor zehn Tagen gemietet habe und somit hier zu Hause sei.
»Ja, ich weiß, Sie sind mein Mieter post mortem, eine ziemlich komische Situation.«
»Was reden Sie denn da, die Wohnung gehört einer siebzigjährigen alten Dame, der Stimme am Telefon nach zu urteilen. Und was soll das überhaupt heißen: >Mieter post mortem«
«Die Dame wäre begeistert, wenn sie das hören würde. Sie ist zweiundsechzig, sie ist meine Mutter und in der gegenwärtigen Situation mein gesetzlicher Vormund. Ich bin die eigentliche Besitzerin.«
»Sie haben einen gesetzlichen Vormund?«
»Ja, denn in meiner derzeitigen Lage fällt es mir ziemlich schwer, irgendwelche Papiere zu unterzeichnen.«
Arthur glaubte, nun langsam zu begreifen.
»Sind Sie zur Behandlung in einem Krankenhaus?«
»Das kann man wohl sagen.«
»Man wird sich Sorgen machen. In welchem Krankenhaus denn? Ich bringe Sie hin.«
»Sagen Sie, halten Sie mich jetzt für eine Verrückte, die aus der Anstalt abgehauen ist?«
»Aber nein ...«
32
»Nach der Nutte von eben ist das nämlich ein bisschen viel für die erste Begegnung.«
Es war ihm völlig gleich, ob sie ein Callgirl war oder eine waschechte Verrückte, er war todmüde und wollte sich hinlegen. Sie schien es nicht bemerken zu wollen und stellte weiter ihre seltsamen Fragen.
»Wie sehen Sie mich?«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Wie sehe ich aus, ich kann mich nämlich nicht im Spiegel sehen. Sagen Sie, wie sehe ich aus?«
»Verwirrt. Sie sehen sehr verwirrt aus«, sagte er ungerührt.
»Nein, ganz konkret, meine ich.«
Arthur zögerte, dann beschrieb er sie: groß, mit sehr großen Augen und einem schönen Mund, ein sanftes Gesicht, ganz im Gegensatz zu ihrem
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