Marc Levy
Krankenschwester streifte ihm sterile Handschuhe über. Der Raum war riesig, ein OP-Team hatte um Laurens Körper Aufstellung genommen. Hinter ihrem Kopf flimmerte ein Monitor im Rhythmus ihrer Atemzüge und ihres Herzschlags.
»Wie sind ihre Werte?« fragte Fernstein den Anästhesisten.
»Stabil, geradezu unglaublich stabil. Fünfundsechzig und hundertundzwanzig zu achtzig. Sie steht bereits unter Narkose, die Blutgase sind normal, Sie können anfangen.«
»Ja, unter Narkose, Sie sagen es.«
Das Skalpell öffnete den Oberschenkel auf der gesamten Länge der Fraktur. Während Fernstein das Muskelgewebe aus einander zog, wandte er sich mit den Worten »Meine lieben Kollegen« an das gesamte Team. Er erklärte ihnen, dass sie 25
nun sehen würden, wie ein Chirurg mit fünfundzwanzigjähriger Berufserfahrung einen Eingriff vornahm, der eines Assistenzarztes im fünften Jahr würdig wäre: das Richten eines Oberschenkelbruchs.
»Und wissen Sie, weshalb ich diese Operation durchführe?«
Kein Student im fünften Studienjahr würde sich bereit erklären, einen Knochenbruch an einer Patientin zu behandeln, deren Hirntod bereits vor zwei Stunden eingetreten war. Er bat sie weiter, ihm keine Fragen zu stellen, es werde nicht länger als eine Viertelstunde dauern, und er bedankte sich für ihre Kooperation. Doch Lauren war eine seiner Schülerinnen, und alle Anwesenden konnten nachvollziehen, was den Professor bewegte. Ein Radiologe brachte die Ergebnisse der Computertomographie. Die Aufnahmen zeigten einen Bluterguss im Bereich der Schädelbasis. Es wurde beschlossen, eine Punktion vorzunehmen, um den Druck auf das Gehirn zu beseitigen. Dazu wurde am Hinterkopf ein kleines Loch gebohrt und eine feine Nadel durch die Hirnhaut geführt. Mit Hilfe eines Bildschirms bewegte der Chirurg sie zu der Stelle, an der sich das Hämatom gebildet hatte. Das Gehirn selbst schien nicht verletzt. Über eine Sonde floss das blutige Hirnwasser ab. Fast sofort fiel der innere Hirndruck rapide ab.
Der Anästhesist erhöhte umgehend die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn. Von dem Druck befreit, nahmen die Zellen ihre normale Stoffwechselfunktion wieder auf und bauten nach und nach die angesammelten toxischen Stoffe ab. Allmählich änderte sich die Einstellung des OP-Teams. Einer nach dem anderen vergaß, dass sie einen klinisch toten Menschen operierten. Jeder spielte mit, und so ergab sich ein routinierter Handgriff aus dem anderen. Der Brustkorb wurde geröntgt, gebrochene Rippen wieder gerichtet und der Brustraum punktiert. Der Eingriff verlief methodisch und präzise. Fünf Stunden später zog Doktor Fernstein schnalzend die Gummihandschuhe von seinen Fingern. Er bat, alle Wunden zu 26
schließen und seine Patientin anschließend in den Aufwachraum zu verlegen. Weiter ordnete er an, die künstliche Beatmung zu beenden, sobald die Wirkung der Narkose nachgelassen hätte.
Er dankte seinen Helfern noch einmal für ihre Mitarbeit und wies darauf hin, dass er von ihnen erwarte, dass sie die Angelegenheit diskret behandelten. Bevor er den Saal verließ, bat er Betty, eine der Schwestern, ihm Bescheid zu sagen, sobald sie Lauren von den Geräten abgenommen hätte. Er verließ die Station und ging schnell zu den Aufzügen. Als er an der Notaufnahme vorüberkam, fragte er die Schwester, die dort Dienst hatte, ob Doktor Stern noch im Haus sei. Die junge Frau verneinte, er sei bereits gegangen, und sehr niedergeschlagen, wie ihr schien. Fernstein dankte und verabschiedete sich mit dem Hinweis, dass er in seinem Büro anzutreffen sei, falls jemand nach ihm fragen sollte.
Lauren wurde aus dem Operationssaal in den Aufwachraum gebracht. Dort schloss Betty sie an das Beatmungsgerät und die Überwachungsmonitore an. So ausgerüstet, sah die junge Frau auf dem Bett aus wie ein Astronaut. Die Schwester entnahm noch eine Blutprobe und verließ dann den Raum. Friedlich lag die betäubte Patientin da, die Lider geschlossen über einem Universum tiefen, seligen Schlummers. Nach einer halben Stunde rief Betty Dr. Fernstein an und teilte ihm mit, dass Lauren nicht mehr unter Narkose stehe. Er fragte sogleich nach ihren Werten, und sie bestätigte ihm, was er erwartet hatte: sie waren immer noch stabil. Sie wollte noch einmal von ihm wissen, wie sie sich nun verhalten sollte.
»Sie beenden die künstliche Beatmung. Ich komme gleich runter.«
Er legte auf. Betty betrat den Aufwachraum, löste den Schlauch vom Tubus und überwachte die ersten eigenen Atemzüge
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