Marc Levy
Stück Fleisch. Lauren erinnerte ihn daran, dass es gerade mal zehn Uhr morgens sei, doch er gab zurück, in New York sei jetzt Mittag und in Sydney bereits Zeit fürs Abendbrot.
»Ja, aber wir sind weder in New York noch in Sydney, sondern in San Francisco.«
»Aber deshalb wird mir das Fleisch nicht weniger gut schmecken.«
Sie wollte, dass er sein normales Leben wieder aufnahm, und sagte ihm das. Er sollte froh sein, dass er eines hatte, und es genießen. Er habe nicht das Recht, alles einfach so schleifen zu lassen. Arthur fand, dass sie die Sache viel zu sehr dramatisiere. Schließlich nähme er sich nur ein paar Tage frei.
In ihren Augen aber ließ er sich auf ein gefährliches und auswegloses Spiel ein. Er wurde richtig wütend:
»Das ist ja toll, so etwas aus dem Mund einer Ärztin zu hören! Ich dachte, ihr glaubt nicht an die Unabwendbarkeit des Schicksals, ich dachte, solange ein Patient noch lebt, gäbe es immer noch eine Hoffnung, und alles wäre möglich. Wie kommt es, dass ich das eher so sehe als du?«
Weil sie Ärztin sei, genau deshalb, gab sie zurück. Weil sie sich bemühe, realistisch zu bleiben, da sie überzeugt sei, dass sie nur Zeit verschwendeten, seine Zeit.
»Du darfst nicht zulassen, dass ich anfange, dir etwas zu bedeuten, ich kann dir nichts bieten, nichts geben, nichts mit dir teilen, ich kann dir nicht mal einen Kaffee kochen, Arthur!«
»So ein Mist aber auch, dass du mir keinen Kaffee kochen kannst, dann wird das nichts mit uns beiden. Ich hänge mein Herz nicht an dich, Lauren, weder an dich noch an sonst jemanden, was das angeht. Ich habe nicht darum gebeten, dich in meinem Wandschrank anzutreffen, aber du warst nun mal drin, c'est la vie, da kann man nichts machen. Niemand sonst 75
kann dich hören, niemand sonst kann dich sehen oder sich mit dir verständigen.«
Sie habe recht, fuhr er fort, es sei für sie beide riskant, sich weiter mit ihrem Problem zu befassen, für sie, weil es vielleicht falsche Hoffnungen weckte, für ihn, weil es ihn viel Zeit kosten und sein Leben komplett durcheinander bringen würde, aber so sei das Leben nun mal. Es gab keine Alternative. Sie war hier, bei ihm, in seiner Wohnung, »die auch deine Wohnung ist«, sie war in einer schwierigen Lage, und er versuchte ihr zu helfen,
»wie es sich gehört in einer zivilisierten Welt, auch wenn das gewisse Risiken birgt.« Einem Obdachlosen vor dem Supermarkt einen Dollar zu geben war in seinen Augen eine Kleinigkeit, die nichts kostete. »Erst wenn man von dem wenigen gibt, was man hat, gibt man wirklich.« Sie wisse nicht viel von ihm, aber er könne von sich behaupten, ein aufrichtiger Mensch zu sein, und was er anfange, bringe er auch zu Ende, koste es, was es wolle.
»Wenn du glaubst, ich hätte nicht nachgedacht, bevor ich mich auf diese Geschichte eingelassen habe, so liegst du damit vollkommen richtig. Ich habe in der Tat überhaupt nicht nachgedacht. Denn gerade während man rechnet und das Für und das Wider gegeneinander abwägt, geht das Leben an einem vorbei. Ich weiß nicht wie, aber wir werden dich da rausholen.
Wenn du hättest sterben sollen, so wäre das schon längst geschehen; ich bin nur hier, um dir eine kleine Hilfestellung zu geben.«
Schließlich bat er sie, sein Angebot anzunehmen, wenn schon nicht für sich selbst, so doch wenigstens für all die Menschen, die sie in ein paar Jahren behandeln würde.
»Du würdest einen guten Anwalt abgeben.«
»Ich hätte eigentlich Arzt werden sollen.«
»Wieso bist du es nicht geworden?«
»Weil meine Mutter zu früh gestorben ist.«
»Wie alt warst du?«
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»Es war zu früh, und ich möchte nicht darüber sprechen.«
»Wieso möchtest du nicht darüber sprechen?«
Er erinnerte sie daran, dass sie Ärztin sei und keine Psychologin. Es mache ihn traurig, darüber zu sprechen, und er wolle keine alten Wunden aufreißen. »Die Vergangenheit ist nun einmal so, wie sie ist.« Er habe jetzt ein eigenes Architekturbüro, und darüber sei er sehr froh.
»Ich mag meinen Job und die Menschen, mit denen ich arbeite.«
»Ist das dein geheimer Garten?«
»Nein, ein Garten hat nichts Geheimes, ein Garten ist ganz im Gegenteil ein Geschenk. Frag nicht weiter, das betrifft nur mich allein.«
Er hatte seine Mutter verloren, als er noch sehr jung war, und seinen Vater noch früher. Sie hatten ihm ihr Bestes gegeben, solange es ihnen möglich gewesen war. So sei sein Leben, und das habe Vor- und Nachteile gehabt.
»Ich brate mir jetzt
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