Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marc Levy

Marc Levy

Titel: Marc Levy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Solange du da bist
Vom Netzwerk:
habe nichts zu 82
    verbergen, Lauren, keine dunklen Seiten, keinen geheimen Garten, kein Trauma. Ich bin, wie ich bin, mit allen möglichen Fehlern.«
    Er fand sich nicht besonders toll, aber er hasste sich auch nicht. Er liebte es, sich über Konventionen und Moden hinwegzusetzen. Vielleicht war es das, was sie spürte. »Ich gehöre in keine Schublade, dagegen habe ich mich immer gewehrt. Ich verkehre mit den Menschen, die mir gefallen, ich gehe hin, wo ich will, ich lese ein Buch, weil es mich interessiert, und nicht, weil ich es unbedingt gelesen haben muß<, so halte ich es mit allem.« Er tat, wozu er Lust hatte, ohne sich tausend Fragen nach dem Wie und Warum zu stellen, und um den Rest kümmerte er sich nicht.
    »Ich wollte dich nicht belasten.«
    In der Wärme einer Hotel-Lounge nahmen sie das Gespräch etwas später wieder auf. Arthur trank einen Cappuccino und knabberte Kekse.
    »Ich liebe diesen Ort«, sagte er. »Es ist ein Ort für Familien.
    Ich mag es, Familien zu beobachten.«
    Auf einem Sofa saß ein kleiner Junge von kaum acht Jahren, an seine Mutter gekuschelt. Sie hatte den Arm um ihn gelegt, hielt ein großes Buch vor sich aufgeschlagen und sprach mit ihm über die Bilder, die er gemeinsam mit ihr entdeckte. Mit dem Zeigefinger der linken Hand streichelte sie langsam und voller Zärtlichkeit über die Wange des Kleinen. Wenn er lachte, erschienen auf seinem Gesicht zwei Grübchen wie zwei winzige Sonnen. Arthur saß lange in den Anblick der beiden versunken.
    »Was schaust du an?« fragte Lauren
    »Einen Moment wahren Glücks. Das Kind da drüben. Sieh sein Gesicht an, er ruht im Herzen der Welt, seiner Welt.«
    »Weckt das Erinnerungen bei dir?«
    Er lächelte nur. Sie wollte wissen, ob er sich gut mit seiner Mutter verstanden habe.
    83
    »Mama ist gestern gestorben, gestern vor vielen Jahren.
    Weißt du, was mich am meisten erstaunt hat am Morgen nach ihrem Tod, das war, dass die Häuser noch immer dastanden, entlang der Straßen mit den Autos, die weiterfuhren, den Fußgängern, die herumliefen und nicht mal zu ahnen schienen, dass meine Welt gerade untergegangen war. Ich selbst wusste es, wegen der leeren Stellen, die sich in meinem Leben ausbreiteten wie Flecken auf einer verhedderten Filmrolle.
    Weil die Stadt mit einemmal vollkommen still geworden war, als wären in einer Minute alle Sterne vom Himmel gefallen. An dem Tag, als sie gestorben ist, und ich schwöre dir, das ist die Wahrheit, sind die Bienen in unserem Garten nicht aus ihrem Stock gekommen, nicht eine einzige sammelte Nektar im Rosengarten, als ob auch sie es gewusst hätten. Wie gerne wäre ich nur für fünf Minuten noch einmal dieser kleine Junge, der sich in ihren Armen vor den anderen versteckte, gewiegt vom Klang ihrer Stimme. Einmal wieder den wohligen Schauer spüren, der mir den Rücken runterlief, wenn sie mich mit dem Finger unter dem Kinn streichelte, um mich Abend für Abend sanft ins Reich meiner Kinderträume zu entlassen. Nichts konnte mir da mehr etwas anhaben, weder die Verfolgungen des schrecklichen Steve Hachenbach in der Schule noch das Gezeter meines Lehrers, Herr Morton, wenn ich meine Hausaufgaben nicht gemacht hatte, noch der strenge Geruch des Kellers. Ich werde dir sagen, warum ich gelassen bin, wie du es nennst. Weil man nicht alles haben kann im Leben und darum das Wesentliche leben muß.«
    »Möge der Himmel dich in meinem Namen erhören. Mein
    >Wesentliches< liegt noch vor mir.«
    »Eben darum dürfen wir nicht aufgeben, Lauren. Lass uns also wieder an die Arbeit gehen.«
    Arthur zahlte, und sie gingen zum Parkplatz. Bevor er ins Auto stieg, küsste Lauren ihn auf die Wange. »Danke für alles«, sagte sie.
    84

8
    Arthur verbrachte fast drei Wochen in der Bibliothek, einem imposanten, um die Jahrhundertwende erbauten
    klassizistischen Gebäude, in dessen Dutzenden von Sälen unter majestätisch gewölbten Decken eine ganz andere Atmosphäre herrschte als an den meisten vergleichbaren Orten. Vor allem in den Räumen des Stadtarchivs konnte man Angehörige der High-Society von San Francisco treffen, die mit in die Jahre gekommenen Hippies Meinungen und Anekdoten zur
    Stadtgeschichte austauschten. Arthur hatte sich im Saal für medizinische Fachliteratur eingeschrieben, wo er direkt neben den Werken über Neurologie saß und in wenigen Tagen Tausende von Seiten über Koma, Bewusstseinstrübung und Schädel-Hirn-Traumata verschlang. Obwohl sie ihn über Laurens Zustand aufklärten, brachte keine

Weitere Kostenlose Bücher