Marc Levy
Leere.
»Ich habe die Farben deines Lächelns in meinen Augen«, begann sie von neuem. »Danke für dein Lachen, für deine Zärtlichkeit. Ich möchte, dass du lebst, dass du dein Leben weiterführst, wenn ich nicht mehr da bin.«
»Ich kann nicht mehr ohne dich sein.«
»Nein, behalte nicht für dich, was du in dir trägst. Schenk es einer anderen Frau.«
»Geh nicht, ich flehe dich an. Kämpfe!«
»Ich kann nicht, es ist stärker als ich. Es tut nicht weh, weißt du, ich habe nur das Gefühl, dass du dich entfernst, ich höre dich bloß noch gedämpft, sehe dich nur noch verschwommen.
Ich habe Angst, Arthur. Ich habe solche Angst ohne dich. Halte mich noch ein bisschen zurück.«
»Ich halte dich fest umschlungen, spürst du mich nicht mehr?«
»Nicht mehr sehr gut, mein Arthur.«
Nur wenige Augenblicke noch, ein unvollendeter Kuss, und sie war verschwunden. Arthurs Arme schlössen sich um sich selbst. Er krümmte sich vor Schmerz und schluchzte auf.
Das »Nein!«, das er in seinem Schmerz herausschrie, hallte im Zimmer wider. Er versuchte aufzustehen, doch er taumelte und fiel zu Boden, die Arme noch immer fest um seine Brust geschlungen. Mehrere Stunden lang blieb er ohne Bewusstsein.
Als er wieder zu sich kam, schleppte er sich bis zu der Fensterbank, auf der sie so gerne gesessen hatte, und ließ sich mit stumpfem Blick darauffallen.
Arthur versank in einer Welt der Verlassenheit. Dumpf drang es in seine Venen, sickerte in sein Herz, das jeden Tag in einem anderen Takt schlug als am Tag davor.
Zuerst weckte es in ihm den Zorn, den Zweifel, die 213
Eifersucht: ob der gestohlenen Augenblicke, der Zeit, die nicht wiederkam. Aber während sich das Verlassensein in ihm ausbreitete, veränderte es heimtückisch seine Gefühle, schärfte sie, machte sie schneidender. Bis ins Mark empfand er das Fehlen des anderen, seiner Liebe, das ungestillte körperliche Verlangen, die Nase, die sich an einen Duft erinnert, die Hand, die den Bauch sucht, um ihn sanft zu streicheln, die Haut, die sich nach einer anderen Haut sehnt, ein Fuß, der ins Leere strauchelt.
Endlose Tage und Nächte verharrte er so. Von seinem Zeichentisch, an dem er lange Briefe an ein Phantom schrieb, schleppte er sich zum Bett und starrte an die Decke, ohne sie zu sehen. Der Telefonhörer lag seit längerer Zeit neben dem Apparat, ohne dass er es beachtet hätte. Es war ihm gleichgültig, er erwartete keinen Anruf mehr. Nichts hatte mehr irgendeine Bedeutung.
Am Ende eines erdrückenden Tages ging er aus dem Haus, um ein wenig Luft zu schnappen. Es regnete an diesem Abend, er zog sich einen Mantel über und fand gerade noch die Kraft, auf die andere Straßenseite zu gehen und dort auf dem Bürgersteig stehen zubleiben.
Die Straße lag wie in Schwarz und Weiß gezeichnet. Arthur setzte sich auf eine niedrige Mauer. Am Ende des langen Korridors, den diese kleine Straße vor ihm bildete, ruhte das viktorianische Haus in seinem Garten. Nur aus einem Fenster, dem seines Zimmers, fiel noch ein Lichtschein in diese mondlose Nacht. Hinter den Scheiben glaubte er noch immer Laurens Gestalt zu erahnen, ihre fließenden Bewegungen.
Sie hatte sich davongeschlichen und sein Herz
mitgenommen.
Auf dem dunklen Pflaster meinte er die sanft
geschwungenen Umrisse ihres Körpers um die Ecke verschwinden zu sehen. Wie immer, wenn er sich zerbrechlich fühlte, vergrub er die Hände in den Taschen seines 214
Regenmantels, den Oberkörper leicht vornüber gebeugt, und lief los.
Entlang der grauen und der weißen Mauern folgte er Lauren, langsam genug, um sie niemals einzuholen. Am Eingang des Gässchens zögerte er, dann aber, getrieben von dem feinen Regen und gefühllos vor Kälte, trat er näher.
Auf einer Brüstung sitzend, erlebte er noch einmal jede Minute ihrer so brutal beendeten Zweisamkeit.
»Arthur, der Zweifel und die Entscheidungsfreiheit, die mit ihm einhergeht, sind die beiden Kräfte, die die Saiten unserer Gefühle zum Schwingen bringen. Denke immer daran, dass es allein auf die Harmonie dieser Schwingung ankommt.«
Die Stimme seiner Mutter und die Erinnerung an sie stiegen plötzlich aus den Tiefen seines Bewusstseins in ihm auf. Arthur erhob sich schwer, sah sich noch einmal um und machte kehrt, mit dem schuldvollen Gefühl, versagt zu haben.
Der bleiche Himmel kündete vom Herannahen eines farblosen Tages. In den frühen Morgenstunden herrscht die Stille, aber nicht jede Stille ist gleichbedeutend mit Einsamkeit, manch eine ist
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