Marco Polo der Besessene 1
Gemach wurde.
Ebensowenig, wie es in Muslim-Tempeln Bilder gibt, gibt es auch keine Altäre, keine Priester noch Musikanten oder Chorsänger und auch kein kultisches Gerät wie Weihrauchgefäße, Weihwasserbecken oder Leuchter. Es gibt weder Messen noch das heilige Sakrament des Abendmahls, und eine mus limische Gemeinde hat nur ein einziges rituelles Gebot zu beachten: sich beim Gebet in Richtung der heiligen Stadt Mekka auf dem Boden auszustrecken, dem Geburtsort ihres Propheten Muhammad. Da Mekka südwestlich von Baghdad gelegen ist, ging die Hinterwand dieser masjid nach Südwesten und wies in dieser Wand eine nicht eben besonders tiefe, etwas über mannshohe Nische auf, die gleichfalls blau
weiß ausgekachelt ist. »Das ist die mihrab«, erklärte Prinzessin Falter. »Wenn der Islam auch keine Priester kennt, richtet doch bisweilen ein durchziehender Weiser das Wort an uns. Vielleicht ein imam, einer, dessen gründliches Studium des Quran ihn zu einer Autorität der darin niedergelegten Glaubenslehren macht. Oder ein mufti, ein Gesetzeskenner, der sich auskennt in den weltlichen Gesetzen, die der Prophet (Segen und Friede seien mit Ihm!) erlassen hat. Oder ein hajji, also einer, der die lange hadj-Pilgerreise ins heilige Mekka gemacht hat. Um unserer Versenkung und Verehrung eine bestimmte Richtung zu geben, nimmt ein solcher weiser Mann in der mihrab dort drüben Aufstellung.«
Ich sagte: »Und ich dachte, das Wort mihrab bedeutete...« Doch dann sprach ich nicht weiter, und die Prinzessin lächelte mich durchtrieben an.
Schon war ich drauf und dran zu sagen, meiner Meinung nach bedeute das Wort mihrab die Scham der Frau -dasjenige, was ein venezianisches Mädchen vulgär ihre pota genannt hatte, woraufhin ich mich von einer vornehmen venezianischen Dame hatte belehren lassen müssen, daß dies ihre mona genannt sei. Doch dann fiel mir die Form auf, welche die mihrab-Nische in der masjid-Wand auszeichnete. Diese war genauso geformt wie die entsprechende Körperöffnung einer Frau, leicht oval und oben spitz zulaufend. Ich bin schon in so mancher anderen masjid gewesen, und noch in jeder war die Nische in der nach Mekka weisenden Wand von dieser Gestalt. Ich halte das für eine zusätzliche Bestätigung meiner Theorie, daß menschliche Geschlechtlichkeit einen bestimmenden Einfluß auf die islamische Architektur ausgeübt hat. Selbstverständlich weiß ich nicht -und bezweifle auch, daß irgendein Muslim es weiß -, welche Bedeutung das Wort mihrab ursprünglich gehabt hat: die ecklesiastische oder die weltliche.
»Und hier«, sagte Prinzessin Falter und zeigte nach oben, »befinden sich die Fenster, welche die Sonne dazu bringen, den Gang des Tages zu verkünden.«
Und in der Tat: Sorgsam in der oberen Hälfte der Kuppel
eingelassen, befanden sich Öffnungen, und die gerade eben
aufgegangene Sonne schickte einen Strahl durch die Weite der
Kuppel hindurch auf die gegenüberliegende Kuppelwand, an
der Tafeln angebracht waren, die in ihren Ornamenten
arabische Schriftzüge enthielten. Laut las die Prinzessin vor,
was dort stand, wo der Sonnenstrahl hinzeigte. Wollte man
diesem Beweis trauen, handelte es sich bei dem heutigen Tag nach muslimischer Zählung -um den dritten Tag des Monats
Jumada, des zweiten also im 670. Jahr von Muhammads Hijra,
oder nach dem persischen Kalender um das 199. Jahr des
Jalali-Zeitalters. Sodann stellten Prinzessin Falter und ich
gemeinsam unter umständlicher Zuhilfenahme unserer Finger
die notwendigen Berechnungen an, um dieses Datum in die
christliche Zeitrechnung umzurechnen.
»Dann ist heute der zwanzigste September!« rief ich aus.
»Mein Geburtstag.«
Woraufhin sie mir gratulierte und sagte: »Ihr Christen erhaltet
bisweilen Geschenke an eurem Geburtstag, nicht wahr? So wie
wir, oder?«
»Manchmal ja.«
»Dann werde ich Euch heute nacht etwas schenken - sofern Ihr
den Mut aufbringt, ein gewisses Risiko einzugehen, um es in
Empfang zu nehmen. Ich werde Euch eine zina-Nacht
schenken.«
»Und was ist eine zina«. fragte ich, wiewohl ich bereits ahnte,
was es wohl wäre.
»Zina ist der unerlaubte Verkehr zwischen Mann und Frau. Der
ist haram, was soviel bedeutet wie verboten. Wenn Ihr das
Geschenk in Empfang nehmen wollt, müßt Ihr Euch im andenin
des Palasts in mein Gemach stehlen, von dem Ihr ja wißt, daß
es gleichfalls haram ist.«
»Da ist mir kein Risiko zu groß!« rief ich beherzt. Dann jedoch
fiel mir etwas
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