Marco Polo der Besessene 1
köstlichen Druck in mir so übermächtig werden ließ, daß ich ihm nicht länger widerstehen konnte und ihm nachgeben mußte, ließ ich die von mir erfundene, nur ausgedachte, unwirklich erhabene Prinzessin Sonnenlicht vor meinem geistigen Auge erstehen und machte sie zum Gefäß meines Überquellens und meiner Liebe.
Wie bereits gesagt: Das genügte mir eine Zeitlang. Doch nach einiger Zeit fiel ich einer Art milden Wahns zum Opfer; ich fing nämlich an, mich zu fragen, ob meine Geschichte nicht vielleicht doch der Wahrheit ziemlich nahe komme. Da diese Wahnvorstellung immer größer wurde, fing ich an, ein tiefes Geheimnis darin zu argwöhnen und der Vermutung nachzuhängen, daß ich kraft des Wirkens meines feinen Verstandes der erste wäre, der diesem Geheimnis auf die Spur gekommen wäre. Schließlich wurde der Wahn so groß, daß ich anfing, Falter gegenüber Andeutungen zu machen: daß ich ihre unsichtbare Schwester eigentlich doch gern einmal sehen würde. Falter schaute besorgt drein und wurde ganz aufgeregt, als ich das tat, was sich noch steigerte, als ich die Tollheit besaß, den Namen ihrer Schwester bei Gelegenheiten fallenzulassen, da wir uns nicht allein, sondern in Gesellschaft ihrer Eltern und ihrer Großmutter befanden.
»Ich habe die Ehre gehabt, fast jedes Mitglied Eurer Familie kennenzulernen, Hoheit«, sagte ich wohl zu Shah Zaman oder der Shahryar Zahd, um dann wie beiläufig fortzufahren: »Bis auf die geschätzte Prinzessin Shams, wie ich meine.«
»Shams?« sagten dann wohl mißtrauisch er oder sie und blickten sich unstet um, woraufhin Falter plötzlich ins Reden geriet, um uns alle abzulenken, während sie mich roh und praktisch buchstäblich aus dem Gemach hinausdrängte, in dem wir uns gerade befanden.
Gott allein weiß, wohin mein Verhalten mich schließlich geführt hätte -vielleicht hätte man mich in das Haus der Enttäuschung eingeliefert -, doch endlich kehrten mein Vater und mein Onkel nach Baghdad zurück, und es wurde Zeit, mich von allen dreien meiner zina-Gefährtinnen zu verabschieden, nämlich von Falter, Shams und der Shams, die es nur in meiner Phantasie gab.
Mein Vater und mein Onkel waren nördlich vom Golf wieder zusammengetroffen und kamen au diesem Grunde gemeinsam in Baghdad an. Kaum daß er mich erblickt und noch ehe wir Gelegenheit gehabt hatten, einander zu begrüßen, rief mein Onkel laut und herzlich aus:
»Ecco, Marco! Wie durch ein Wunder immer noch am Leben und immer noch auf zwei Beinen; nicht einmal festgenommen hat man ich! Dann steckst du also im Moment nicht in irgendeinem Schlamassel, scaragön«
Ich erwiderte: »Bis jetzt wohl noch nicht«, und ging mich vergewissern, daß das auch so blieb. Ich suchte Prinzessin Falter auf und erklärte ihr, unsere Verbindung müsse leider enden. »Ich kann nachts unmöglich länger wegbleiben, ohne daß sie Verdacht schöpfen.«
»Wie schade!« sagte sie und machte einen Schmollmund. »Meine Schwester ist der zina mit Euch keineswegs überdrüssig.«
»Ich auch nicht, Shahzrad Magas Mirza. Nur hat sie, ehrlich gesagt, ziemlich an meinen Kräften gezehrt. Jetzt muß ich mich für den Rest unserer Reise erst einmal wieder erholen.«
»Jawohl, Ihr seht wirklich etwas angestrengt und eingefallen aus. Nun gut, ich gestatte Euch fernzubleiben. Vor Eurer Abreise werden wir uns noch in aller Form voneinander verabschieden.«
So kam es, daß mein Vater, mein Onkel und ich uns mit dem Shah zusammensetzten und ihm erklärten, wir hätten beschlossen, die Reise in den Osten nicht durch eine Seefahrt abzukürzen.
»Trotzdem danken wir Euch aufrichtig, Shah Zaman, uns diesen Vorschlag gemacht zu haben«, sagte mein Vater. »Aber es gibt ein altes venezianisches Sprichwort: Loda il mär, tiente a la tera.«
»Was soviel bedeutet wie?« fragte der Shah liebenswürdig.
»Preise das Meer, aber halte dich ans Land. In weiterem Sinne heißt es: Preise die Mächtigen und die Gefährlichen, aber klammere dich an das Kleine und Sichere. Nun sind Mafio und ich schon über mächtige Meere gesegelt, nie allerdings auf
solchen Schiffen, denen die arabischen Händler sich
anvertrauen. Keine Überlandroute könnte unsicherer oder
gefahrvoller sein.«
»Die Araber«, sagte mein Onkel, »bauen ihre seegängigen Schiffe auf genausowenig vertrauenerweckende Weise wie ihre klapprigen Flußkähne, die Hoheit hier in Baghdad zu sehen bekommen. Sie werden einfach von Fischleim und Seilen zusammengehalten ohne auch nur das
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