Marco Polo der Besessene 1
wird. Woher weißt du, wann es
soweit ist, daß nichts mehr hinzugeladen werden darf?«
»Das ist leicht zu erkennen, wazir Mirza. Sobald es aufhört zu
murren, ist ihm der letzte Strohhalm aufgeladen, den zu tragen
es imstande ist.«
Jamshid zuckte die Achseln. »Er kennt sich mit Kamelen aus.«
»Nun...«, murmelten mein Vater und mein Onkel.
Und die Worte des Shahs ließen keine Widerrede mehr zu, als
er sagte: »Entweder Ihr nehmt ihn mit, meine Herren, oder Ihr
steht daneben und seht zu, wie er in den Krug gesteckt wird.«
»In den Krug?« fragte mein Vater nach, der nicht wußte, was
das war.
»Nehmen wir ihn, Vater«, sagte ich, der ich das erste Mal den
Mund aufmachte. Ich sagte es nicht mit Begeisterung, hätte
aber nicht ein zweites Mal einer Hinrichtung durch siedendes Öl
beiwohnen können -auch dann nicht, wenn es sich um diesen
widerwärtigen Wurm gehandelt hätte.
»Allah wird es Euch vergelten, junger Mirza!« rief der Wurm.
»Ach, die Zierde der Vollkommenheit - Ihr seid mitleidig wie der
Derwisch Bayazid aus alter Zeit, der auf seinen Reisen in den
Flusen seines Nabels eine Ameise fand und hundert farsakhs
an seinen Ausgangspunkt zurückwanderte, um die entführte
Ameise auf den Haufen zurückzutun, von dem sie stammte,
und...«
»Schweig!« herrschte mein Onkel ihn an. »Wir nehmen dich,
weil wir unseren Freund, Shah Zaman, von deiner stinkenden
Gegenwart befreien wollen. Aber ich warne dich, Abschaum du,
Mitleid wirst du kaum von uns erfahren!«
»Ich bin es zufrieden!« rief der Abschaum. »Verunglimpfungen
und Schläge von einem Weisen sind köstlicher denn
Schmeicheleien und Blumen von einem Dummkopf.
Außerdem...«
»Gesü!« sagte mein Onkel müde. »Man wird dich nicht auf das Hinterteil schlagen - man wird die Prügel deiner allzu hurtigen Zunge verabreichen. Hoheit, wir werden aufbrechen, sobald der Morgen tagt -und Euch von der Gegenwart dieser Pestbeule befreien, so rasch es geht.«
Früh am nächsten Morgen kleideten Karim und unsere anderen beiden Diener uns in gute, derbe Reisekleidung persischer Art, halfen uns, unsere persönlichen Habseligkeiten zu packen, und überreichten uns einen großen Korb feiner Speisen und Weine und anderer Leckerbissen, welche die Palastköche bereitet, auf daß diese Nahrung sich lange halte und uns unterwegs eine ganze Weile den Hunger stille. Dann gaben alle drei Diener sich einem Schauspiel tiefen Kummers hin, als wären wir ihr Leben lang ihre geliebten Herren gewesen, die sie nun für immer zurückließen. Sie warfen sich zum Abschied der Länge nach auf den Boden, rissen sich die tulbands vom Kopf, schlugen mit der Stirn auf den Boden und ließen von alledem nicht ab, bis mein Onkel reichlich bakhshish unter sie verteilt hatte, woraufhin sie uns zufrieden lächelnd und den Schutz Allahs auf uns herabbeschwörend verabschiedeten.
Bei den Palaststallungen stellten wir fest, daß Nasenloch, ohne daß irgend jemand es ihm befohlen hatte, ohne Schläge und ganz auf sich allein gestellt, unsere Reittiere gesattelt und das Lastkamel beladen hatte. Er hatte sogar all die Geschenke, die der Shah mitschicken wollte, sorgfältig verpackt und dergestalt verstaut, daß sie nicht herunterfallen, aneinanderstoßen und unterwegs auch nicht mit Schmutz in Berührung kommen konnten; und soweit wir sahen, hatte er auch nichts gestohlen.
Statt ihn dazu zu beglückwünschen, erklärte mein Onkel streng: »Du Schurke bildest dir ein, uns jetzt einzuseifen, um uns hinterher um so besser über den Löffel halbieren zu können; und denkst dir, daß es uns hinterher nichts ausmacht, wenn du in deine üblichen Schlampereien zurückfällst. Aber ich warne dich, Nasenloch, genau diese Art von Tüchtigkeit erwarten wir von dir, und...«
Unterwürfig unterbrach der Sklave ihn: »Ein guter Herr sorgt dafür, daß er einen guten Sklaven hat; was er an Dienstleistung und Gehorsam zu erwarten hat, steht in direktem Verhältnis zu der Achtung und dem Vertrauen, die ihm entgegengebracht werden.«
»Aber nach allem, was wir gehört haben«, erklärte mein Vater, »hast du deinen letzten Herren, dem Shah und dem Sklavenhändler, nicht gerade gut gedient...«
»Ach, gütiger Mirza Polo, viel zu lange hat man mich in Städten und Häusern eingesperrt, und Eingesperrtsein macht mich kratzbürstig und böse. Allah hat mich als jemand geschaffen, der immer unterwegs sein muß. Als ich erfuhr, daß Ihr Herren Reisende
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