Marco Polo der Besessene 1
wollte er, daß ich nicht in
irgendwelchen Schlamassel hineingeriet, solange ich in Balkh
mir selbst überlassen blieb.
Er sagte:
»Mirza Marco, es gibt da ein gewisses Haus in dieser Stadt. Es
ist das Haus eines Gebr, und ich möchte gern, daß Ihr es Euch
anseht.«
»Eines Gebr?« sagte ich. »Soll das ein seltenes wildes Tier
sein?«
»Selten keineswegs, aber tierisch schon. Ein Gebr ist einer von
den verderbten Persern, welche sich nie der Erleuchtung des
Propheten (Segen und Friede seien mit Ihm!) geöffnet haben.
Diese Leute verehren immer noch Ormuzd, den heute
verrufenen Gott des Feuers, und befleißigen sich vieler böser
Praktiken.«
»Ach«, sagte ich und verlor das Interesse. »Warum sollte ich
mir das Haus einer weiteren schändlichen heidnischen Religion
ansehen?«
»Weil dieser Gebr, da er ja nicht an das muslimische Gesetz
gebunden ist, wie nicht anders zu erwarten gegen jeden
Anstand verstößt. Vorn ist sein Haus ein Laden, in dem Dinge
aus Asbest verkauft werden, nach hinten hinaus jedoch ist es
ein Freudenhaus, das der Gebr frevlerisch Liebenden für ihr
heimliches Stelldichein zur Verfügung stellt. Beim Barte des
Propheten, schändlich!«
»Was habe ich damit zu schaffen? Geh doch selbst hin und
zeig es bei einem Mufti an.«
»Als frommer Muslim wäre das eigentlich meine Pflicht, doch
will ich es noch nicht tun. Jedenfalls nicht, bevor Ihr Euch nicht
von der Schändlichkeit des Gebr überzeugt habt, Mirza Marco.«
»Ich? Was zum Teufel soll ich dort?«
»Seid Ihr Christen in bezug auf das Schamgefühl anderer Leute
nicht noch bedenkenloser?«
»Ich sehe in Liebenden nichts Schändliches« erklärte ich vor
Selbstmitleid triefend. »Im Gegenteil, ich beneide sie. Hätte ich
doch selbst jemand, mit dem ich an der Hintertür des Gebr
anklopfen könnte.«
»Nun, er verstößt auch noch auf andere Weise gegen die
Moral. Für diejenigen, die gerade keine Geliebte haben, die
ihnen zu Willen sein könnte, hat der Gebr zwei oder drei junge
Mädchen bei sich wohnen, die für Geld zu haben sind.«
»Hm. Das hört sich schon anders an. Es war recht von dir, mich
darauf hinzuweisen, Nasenloch. Wenn du mir das Haus nun
auch noch zeigtest, könnte ich mich geneigt sehen, dich für
deine geradezu christliche Wachsamkeit zu belohnen...«
Und so begab ich mich denn am nächsten Tag bei
Schneetreiben, nachdem er und mein Vater in südöstlicher
Richtung davongeritten waren und ich mich davon überzeugt
hatte, daß Onkel Mafio gut in seine Ziegenhäute eingewickelt
war, in den Laden hinein, den Nasenloch mir gezeigt hatte.
Darin befand sich ein Verkaufstisch mit Stapeln und Rollen
irgendeines schweren grauen Tuchs und dazwischen eine mit
Petroleum gefüllte Steinschale samt Docht, der mit heller gelber
Flamme brannte; und hinter dem Verkaufstisch stand ein
bereits älterer Perser mit hennarot gefärbtem Bart.
»Zeigt mir Eure sanftesten Waren«, sagte ich, wie Nasenloch
mich angewiesen hatte.
»Hinten links«, sagte der Gebr und ruckte mit dem Bart in
Richtung auf einen Perlenvorhang im Hintergrund des Ladens.
»Ein Dirham.«
»Ich hätte«, verdeutlichte ich, »gern etwas besonders
Schönes.«
Spöttisch verzog er den Mund. »Zeigt Ihr mir was Hübsches
unter diesen Landpomeranzen, und ich bin bereit, Euch zu
bezahlen. Seid froh, daß die Ware sauber is t. Ein Dirham.«
»Was soll's -Hauptsache, es ist Wasser, das Feuer zu
löschen«, sagte ich. Der Mann funkelte mich an, als hätte ich
ihn angespuckt, und ich erkannte, daß dies vermutlich nicht
gerade die taktvollste Bemerkung einem Feueranbeter
gegenüber war. Hastig legte ich daher die Münze auf den
Verkaufstisch und stieß durch den leise klirrenden
Perlenvorhang. Überall im Raum hingen des süßlichen Geruchs wegen Robinienzweige; sonst war er nur mit einem Holzkohlenbecken sowie einem charpan ausgestattet, einem rohen, aus einem Holzrahmen mit Schnurgeflecht bestehenden Bett. Das Mädchen war auch nicht hübscher als das einzige andere weibliche Wesen, für dessen Dienste ich einmal bezahlt hatte das Hafenmädchen Malgarita in Venedig. Diese hier stammte offensichtlich aus einem der Stämme, die hier zu Hause waren, denn sie sprach das hier geläufige Pashtun und verfügte über ein beklagenswert beschränktes Vokabular von Handels -Farsi. Sollte sie mir ihren Namen genannt haben, habe ich ihn nicht
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