Marco Polo der Besessene 1
die nächste Woche gefeiert werden sollte, das Fest von San Marco dei Bocoli. (Ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass wir April hatten, auf dessen fünfundzwanzigsten Tag das Fest des heiligen Markus fällt, und dass dieser Tag in Venedig ein Fest der Blumen, der Ausgelassenheit und der Maskerade ist, das dem »San Marco der Knospen« geweiht ist. Diese Stadt liebt die Feste und freut sich Jahr für Jahr insbesondere auf diesen Tag, da dann seit dem Karneval, der unter Umständen bereits zwei Monate zurückliegt, keine einzige festa mehr gefeiert worden ist.)
Der Mann und die Frau sprachen von den Kostümen, die sie machen lassen wollte und von den verschiedenen Bällen, zu denen man sie eingeladen hatte. Und abermals versetzte es mir einen Stich, denn diese Feste würden hinter Türen stattfinden, die mir verschlossen waren. Doch dann erklärte Ilaria, sie werde auch zu der am Abend dieses Tages bei Fackellicht stattfindenden Promenade im Freien gehen. Ihr Gatte machte ihr einige Vorhaltungen und brummte etwas von den vielen Menschen und der Gefahr, dass man von »der gewöhnlichen Herde« eingekeilt werden könnte, doch Ilaria bestand lachend darauf, mein Herz machte einen Satz, und ich faßte wieder einen Entschluß.
Unmittelbar nachdem sie in ihrer casa muta verschwunden waren, lief ich zu einem Laden in der Nähe des Rialto, den ich kannte. Die Vorderseite dieses Ladens hing voll von Masken aus Stoff und aus Tuch und cartapesta in Rot und Schwarz und Weiß sowie fleischfarbenen, grotesken, komischen, dämonischen und lebensechten Masken. Ich platzte in den Laden hinein und rief dem Maskenmacher zu: »Macht mir eine Maske für die festa von Samarco' Es soll eine Maske sein, in der ich hübsch, aber alt aussehe' Macht, dass ich älter aussehe als zwanzig. Aber gut erhalten und männlich und draufgängerisch muß ich aussehen!«
So kam es, dass ich mich -ohne von einem der Dienstboten dazu aufgefordert worden zu sein -am Morgen dieses Festtages Ende April in meinen Sonntagsstaat warf: in ein kirschrotes Samtwams, lavendelfarbene seidene Beinkleider, meine selten getragenen roten Schuhe aus Cordoba und darüber einen schweren wollenen Mantel, der dazu dienen sollte, die Schlankheit meiner Gestalt zu verbergen. Die Maske versteckte ich unter dem Mantel. Dann verließ ich das Haus und probierte aus, ob meine Maskerade bei den Hafenrangen verfing. Als ich dem Kahn nahe gekommen war, holte ich die Maske heraus und legte sie an. Sie wies Augenbrauen und einen schneidigen Lippenbart auf, die aus echtem Haar gemacht waren; das Gesicht war das eines rauen Seemanns, dessen Haut von den Winden ferner Meere gegerbt und von der Sonne gebräunt war.
»Ola, Marco«, sagten die Jungen. »Sana capana!« »Ihr erkennt mich? Ich sehe aus wie Marco?«
»Hm. Jetzt, wo du es sagst...«, meinte Daniele. »Nein, nicht
eigentlich wie der Marco, den wir kennen. Wie, meinst du, sieht
er aus, Boldo?«
Ungeduldig sagte ich: »Dann sehe ich nicht wie ein über
zwanzigjähriger Seefahrer aus?«
»Nun, ja...«, druckste Ubaldo herum. »Wie ein etwas zu kurz
geratener Seefahrer...«
»Die Verpflegung an Bord ist ja manchmal etwas karg«, meinte
Daniele mir zu Hilfe kommen zu müssen. »Vielleicht hat die
dein Wachstum beeinträchtigt.«
Ich war überaus verärgert. Als Doris vom Kahn herunterkam
und sofort grüßte: »Olä, Marco«, fuhr ich herum und wollte sie
wütend anfauchen, doch was ich sah, ließ mich innehalten.
Auch sie hatte sich zu Ehren des Tages kostümiert. Sie hatte
ihr zuvor nichtssagendes Haar gewaschen, das sich jetzt als
reizvoll strohblond erwies. Des weiteren hatte sie sich das
Gesicht gewaschen und es anziehend bleich gepudert, wie
erwachsene Venezianerinnen es zu tun pflegen. Auch trug sie
das Gewand einer erwachsenen Frau: einen für ihre Größe
zurechtgemachten Brokatrock, der einst meiner Mutter gehört
hatte. Doris wirbelte herum, um die Unterröcke fliegen zu
lassen, und sagte schüchtern: »Bin ich nicht so vornehm und
schön wie deine angebetete lustrisima, Marco?«
Ubaldo brummte etwas von wegen: »... all diese zwergenhaften
Damen und Herren«, doch ich starrte nur durch die
Augenlöcher meiner Maske hindurch.
Doris blieb ihrem Vorsatz treu und sagte: »Willst du an diesem
festlichen Tag nicht mein Kavalier sein, Marco?... Worüber
lachst du?«
»Über deine Schuhe.«
»Was?« flüsterte sie und machte ein langes Gesicht.
»Ich lache, weil
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