Marco Polo der Besessene 2
der Seite zu haben. Der mongolische Bote funkelte mich zornblitzend an, als ich lachte, dann stieß er knurrend nochmals seinen Befehl aus, woraufhin wir alle uns erhoben und ihm rasch folgten.
An diesem Tag regnete es, was nicht gerade dazu angetan war, mein mal di capo zu vertreiben oder unser Gestapfe durch die Straßen und über die Stadtmauer hinaus und durch die hechelnden und knurrenden Hunde im bok fröhlicher zu gestalten. Wir hoben kaum den Kopf, uns umzusehen, bis der Bote »Halt!« rief und uns anwies, durch zwei Feuer hindurchzugehen, die vor dem Eingang von Kaidus yurtu brannten.
Bei meinem ersten Besuch des Lagers war ich nicht in ihrer Nähe gewesen, doch jetzt erkannte ich, daß dies die Art yurtu gewesen sein muß, die zu dem abendländischen Wort »Horde« inspiriert hat. Sie hätte nämlich in der Tat eine ganze Horde von gewöhnlichen yurtu-Zelten überspannt, denn es war ein riesiger Pavillon, fast so hoch und so groß wie die karwansarai, in der wir abgestiegen waren, doch bei der handelte es sich um ein festes Gebäude; dies hier hingegen bestand ganz und gar aus lehmgelbem Filz, der mit Seilen aus geflochtenem Roßhaar auf Lattengerüsten und Zeltpfählen festgehalten wurde. Ein paar Bulldoggen erhoben vor dem nach Süden weisenden Eingang ihr Gebrüll und zerrten an ihren Ketten, und zu beiden Seiten des mit Filzbahnen verschlossenen Eingangs hingen reich bestickte schmale Filzbänder herab. Die yurtu war zwar kein Palast, überschattete aber zweifellos alle kleineren im bok. Neben ihr stand übrigens das Gefährt, mit dem es von einem Ort zum anderen transportiert wird, denn der Pavillon des Kaidu wurde für gewöhnlich heil und ganz woandershin gebracht und nicht auseinandergebaut und gebündelt. Bei dem Wagen handelte es sich um das größte Fahrzeug, das ich jemals gesehen hatte: um einen flachen Bretterboden, groß wie eine Weide, der sich auf einer baumstammgroßen Achse im Gleichgewicht hielt, deren Räder wiederum mühlradgroß waren. Um dies Gefährt samt Ladung zu ziehen, bedurfte es, wie ich später erfahren sollte, gut und gern zweiundzwanzig Yaks oder Ochsen, die in zwei Reihen zu elft davorgespannt wurden; Pferde oder Kamele hätten nie auf so engem Raum gedrängt zusammenarbeiten können.
Der Bote tauchte unter der Filzbahn des Eingangs hindurch, um uns bei seinem Herrn anzumelden, kam wieder zum Vorschein und ruckte mit dem Arm, um uns hineinzuschicken. Als wir an ihm vorüber waren, stellte er sich Nasenloch in den Weg und knurrte: »Keine Sklaven!« woraufhin dieser draußen bleiben mußte. Das hatte einen Grund. Die Mongolen fühlen sich allen anderen Freien in der Welt überlegen, selbst Königen und dergleichen; jemand, der noch unter denen steht, die unter ihnen stehen, gilt als jemand, den zu beachten man für unter seiner Würde hält, ja, den man verachtet.
Schweigend betrachtete der Ilkhan Kaidu uns, als wir das mit leuchtenden Teppichen und Kissen ausgestattete Innere bis dorthin durchmaßen, wo er hingegossen auf einem erhöhten Podest auf einem Haufen Pelze lag -die samt und sonders entweder gestreift oder getüpfelt waren: offensichtlich handelte es sich um die Felle von Tigern und Pardeln. Er war in Schlachtrüstung aus schimmerndem Leder und Metall gekleidet und trug auf dem Kopf eine Karakulkappe mit Ohrschützern. Er besaß Augenbrauen, die wie ausgeschnittene Karakulstreifen aussahen - und beileibe keine kleinen und schmalen. Die Schlitzaugen darunter waren blutunterlaufen, offenbar entzündet von der Wut, in die allein unser Anblick ihn offenbar schon versetzte. Links und rechts standen zwei Krieger, genauso schmuck gekleidet wie der Bote, der uns geholt hatte. Der eine hatte eine Lanze aufgepflanzt, der andere hielt eine Art Baldachin an einer Stange über Kaidus Kopf, und beide standen sie stocksteif da wie Statuen.
Wir näherten uns nur sehr langsam. Vor dem Pelzthron verneigten wir uns würdevoll ganz leicht, alle auf einmal, als hätten wir das geübt, schauten zu Kaidu auf und warteten auf das erste Zeichen, in welcher Stimmung wir von dem mächtigen Herrn empfangen wurden. Eine Weile starrte er uns an, als wären wir Ungeziefer, das unter den Teppichen der yurtu hervorgekrochen war. Und dann tat er etwas Widerwärtiges. Er ließ tief aus der Brust kommend ein knurrendes Räuspern vernehmen und würgte offensichtlich einen ganzen Batzen Schleim hoch. Dann stand er mit trägen Bewegungen von seinem erhöhten Lager auf, stellte sich hin, wandte
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