Marco Polo der Besessene 2
Rachewerkzeug? Das verstehe ich nicht.«
Er erklärte es mir. Wird ein weißer Elefant gefangen, wird er stets dem jeweiligen König zum Geschenk gemacht, denn nur ein König kann es sich leisten, einen zu unterhalten. Da er als heilig gilt, könne dieser Elefant nie für die Arbeit eingesetzt werden, sondern brauche einen schönen Stall, hingebungsvolle Pflege und fürstliches Futter; sein einziger Zweck sei es, in religiösen Prozessionen mitzuwirken, denn dann würde er mit goldfadendurchwirkten Decken, edelsteingeschmückten Ketten und schönem Tand behängt. So etwas sei eine kostspielige Sache, sogar für einen König. Ärgere sich so ein König jedoch über einen seiner hohen Würdenträger, sagte der mahawat, oder fürchte er ihn als Rivalen oder hege er auch nur eine Abneigung gegen ihn, dann…
»Früher«, sagte er, »hätte ein König ihm vergiftete Leckereien geschickt, so daß der Empfänger nach ihrem Genuß stürbe oder eine schöne Sklavin, der man die rosa Stellen vergiftet hat, so daß der Edle starb, nachdem er bei ihr gelegen. Doch derlei Listen kennt man heutzutage allzugut. Aus diesem Grunde schickt ein König heutzutage seinem Edlen einfach einen weißen Elefanten. Ein heiliges Geschenk kann dieser unmöglich zurückweisen. Er kann es auch nicht mit Gewinn weiterverkaufen. Was ihm bleibt, ist einfach die Pflicht, den Elefanten standesgemäß zu unterhalten, woraufhin er bald ruiniert ist und zahlungsunfähig -falls er solange wartet. Die meisten begehen Selbstmord, sobald sie einen weißen Elefanten geschenkt bekommen.«
Ich weigerte mich, eine solche Geschichte zu glauben und warf dem mahawat vor, mir einen Bären aufzubinden. Dann jedoch erzählte er mir noch etwas völlig Unglaubhaftes behauptete, er könne die genaue Größe eines Elefanten bestimmen, ohne ihn auch nur zu sehen -und als wir bei Tagesschluß von unserem herunterstiegen, machte er mir das vor, und daraufhin konnte sogar ich das. Da er mir hier Respekt vor seiner Glaubwürdigkeit abnötigte, hörte ich auf, mich über die Geschichte mit den weißen Elefanten lustig zu machen. Die Sache mit dem Maßnehmen geht folgendermaßen vor sich. Man suche sich einfach eine Ele fantenfährte, suche sich den Abdruck eines seiner Vorderfüße heraus und messe den Umfang desselben ab. Jeder weiß, daß eine vollkommen proportionierte Frau eine Taille hat, die genau dem doppelten Umfang ihres Halses entspricht und daß ihr Hals doppelt so dick ist wie ihr Handgelenk. Genauso mißt das Stockmaß eines Elefanten genau zweimal den Umfang eines Vorderfußes.
Als wir die Treiber rufen und mit Knüppeln schlagen hörten, setzte ich einen Pfeil auf meine Bogensehne, und als eine borstenbewehrte gedrungene schwarze Gestalt schnaufend durch das Dickicht fuhr und ihre gelben Hauer aneinanderschlug, als wollte sie damit die meines Elefanten herausfordern, schoß ich den Pfeil ab. Er traf den Eber; ich hörte das plopp und sah leichten Staub von der rauhen Schwarte aufwölken. Ich glaube, er wäre sofort in die Knie gebrochen, hätte ich einen von den schweren Pfeilen mit der breiten Spitze gewählt. Ich war jedoch davon ausgegangen, einen Weitschuß abgeben zu müssen und hatte daher einen Pfeil mit schmaler Spitze ausgesucht. Dieser fuhr geradenwegs in den Wildeber hinein, bewirkte aber nichts weiter, als daß dieser kehrtmachte und ich sah, wie er davonschoß.
Ohne abzuwarten, durch den Stachelstock dazu aufgefordert zu werden, lief mein Elefant hinterdrein und blieb ihm dicht auf den Fersen, obwohl er im Zickzack durchs Unterholz fegte, wie ein Jagdhund, der ausdrücklich auf die Eberjagd abgerichtet ist, so daß ich und der maha-wat in der schwankenden hauda auf und ab hüpften. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, noch einen Pfeil auf die Sehne zu setzen, geschweige denn abzuschießen und zu hoffen, daß er traf. Dem verwundeten Eber wurde jedoch bald klar, daß er geradenwegs auf die Linie der Treiber zuhielt. Schliddernd kam er in einem trockenen Bachbett zum Stehen, wandte sich uns zu, senkte den langen Kopf, und seine roten Augen funkelten zornig hinter den vier hochgewölbten Hauern. Auch mein Elefant kam zum Stehen, und das muß ein köstliches Bild abgegeben haben, hätte ich von anderem Ort aus zugeschaut. Doch der mahawat und ich rutschten zur offenen Front der hauda heraus und fanden uns auf allen vieren auf dem massigen Schädel des Elefanten wieder und wären auch noch weiter hinuntergerutscht, hätten wir uns nicht aneinander und
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