Marco Polo der Besessene 2
einer kurzen Weile, gelang es mir vollständig, den bösen Achmad und meinen bemitleidenswerten, heruntergekommenen Onkel Mafìo und all die anderen Sorgen zu vergessen, die auf mir lasteten, und die Gefahren, die mir außerhalb dieser Wohnung und jenseits dieses Augenblicks drohten - denn ich leistete mir das unsäglich innige Vergnügen, Hui-sheng den Besitztitel über sich selbst zu übergeben.
Mit einer Handbewegung forderte ich sie auf, an einem Tisch Platz zu nehmen, auf dem Pinsel, Armstütze und Tintenstein bereitlagen, welche die Han zum Schreiben brauchen. Ich faltete die Urkunde mit dem Besitztitel auseinander und legte sie vor sie hin. Dann feuchtete ich den Stein an, um Tinte herzustellen, und trug ein wenig davon auf die geschnittene Fläche meines yin, drückte diese dann fest auf eine freie Stelle auf dem Papier und zeigte ihr den Abdruck. Sie betrachtete erst diesen, dann mich, und ihren bezaubernden Augen war anzumerken, daß sie zu begreifen versuchte, was ich mit meinem Tun beabsichtigte. Ich zeigte auf sie, auf den Abdruck des yin auf dem Papier, auf mich selbst, vollführte dann eine abweisende Handbewegung die Urkunde gehört nicht mehr mir, du gehörst nicht mehr mir und drückte dann ihr das Papier in die Hand.
Ein großes Leuchten trat in ihr Gesicht. Sie wiederholte mein abweisendes Handwedeln, sah mich dabei fragend an, woraufhin ich nachdrücklich nickte. Sie hielt, mich immer noch anschauend, das Papier in Händen und tat so, als wolle sie es zerreißen -tat dies jedoch nicht -, woraufhin ich womöglich noch nachdrücklicher nickte, um sie ganz sicher zu machen: ja, das ist richtig, der Besitztitel über die Sklavin existiert nicht mehr, du bist eine freie Frau. Tränen traten ihr in die Augen, sie erhob sich und ließ die Urkunde fallen, so daß sie zu Boden flatterte, und schenkte mir einen letzten fragenden Blick: besteht auch wirklich kein Irrtum? Ich vollführte eine weitausholende Geste, um ihr zu verstehen zu geben: die Welt gehört dir, es steht dir frei zu gehen. Dem folgte ein Moment der Erstarrung, da ich den Atem anhielt und wir einfach dastanden und einander ansahen -und dieser Moment schien kein Ende zu nehmen. Sie brauchte nichts weiter zu tun, als ihre Habseligkeiten wieder zusammenzusuchen und davonzugehen; ich hätte sie nicht daran gehindert. Doch dann zerbrach der Moment der Erstarrung. Sie vollführte zwei Gesten, von denen ich hoffte, daß ich sie verstand -sie legte die eine Hand auf ihr Herz, die andere auf ihre Lippen, dann streckte sie beide in meine Richtung aus. Ich lächelte unsicher und brach in ein glückliches Lachen aus, denn sie warf sich mir mit ihrer kleinen Gestalt an die Brust, und wir umarmten einander, wie wir es am Abend zuvor getan -nicht leidenschaftlich und nicht einmal verliebt, nur einfach froh.
Schweigend dankte und segnete ich Khan Kubilai dafür, mir dies yin-Siegel gegeben zu haben. Es war das erstemal, daß ich es benutzte, und siehe da, es hatte dies bezaubernde Mädchen in meine Arme getrieben. Wirklich unfaßlich, dachte ich, was der schlichte Abdruck eines geschnittenen Steins auf einem Stück Papier alles bewirken konnte…
Und dann ließ ich unvermittelt Hui-sheng fahren, drehte mich von ihr weg und warf mich auf den Boden.
Auf dem Weg nach unten sah ich flüchtig nur noch ihr erschrockenes kleines Gesicht, doch es war keine Zeit, etwas zu erklären oder mich für mein unmanierliches Benehmen zu entschuldigen. Mir war plötzlich eine Idee gekommen -eine ungeheuerliche, vielleicht sogar aberwitzige Idee, aber auch eine höchst verführerische. Möglich sogar, daß es Hui-shengs erfrischende Berührung war, die den Anstoß dazu gegeben hatte. Wenn dem so war, würde ich ihr später danken. Im Augenblick, auf allen vieren auf dem Boden, beachtete ich ihre Fassungslosigkeit nicht, sondern stöberte eifrig in all den vielen bunt durcheinandergewürfelten Dingen, die ich dort ausgeschü ttet hatte. Ich fand die pai-tzu-Plakette, die ich Kubilai zurückgeben wollte, und die Liste mit den Namen der Waffenmeister, die ich ihm geben wollte und - ja! da war es! - das yin-Siegel, in das der Name Pao Nei-ho eingegraben war und das ich dem Minister für Kleinere Volksgruppen kurz vor seiner Hinrichtung abgenommen und seither behalten hatte. Ich griff es, strahlte es freudig an, stand auf, drückte es an mich und muß wohl ein paar Liedtakte gesummt und ein paar Schritte getanzt haben. Davon ab ließ ich erst, als mir klar wurde, daß
Weitere Kostenlose Bücher