Marco Polo der Besessene 2
unter diesen Umständen, denn es war ein schlichtes Lied zum Preise der Tugend -also von etwas, an dem es nicht nur dem Wali Achmad gebrach, sondern überhaupt seiner Umgebung und allem, das mit ihm zu tun hatte. Mafìo Polo sang mit leise tremolierender Stimme:
La virtù te dà grazia anca se molto
Vechio tí fussi e te dà nobil forme…
Ich griff zurück in die Schlafkammer, um mir mit einer Lampe den Weg zu leuchten, ging ins Dunkel hinein und schwenkte die Geheimtür hinter mir zu, wobei ich von der Annahme ausging, daß der qali auf der anderen Seite wieder darüberfallen würde. Ich fand Mafìo ein Stück weiter im Gang entfernt auf dem kalten feuchten Steinboden sitzen. Wieder war er mit dem abscheulichen Gewand der »großen Frau« bekleidet -diesmal war es hellgrün -und sah womöglich noch benommener und mehr von Sinnen aus als der Araber. Er jedoch war zumindest nicht mit Blut oder irgendwelchen anderen Körperflüssigkeiten beschmiert. Welche Rolle er auch immer in dieser Liebestrankorgie gespielt hatte, es war offensichtlich keine sonderlich aktive gewesen. Er erkannte mich nicht, bot aber auch keinerlei Widerstand, als ich ihn beim Arm nahm, hochzog und ihn aufforderte, weiter den Gang entlangzugehen. Er sang nur einfach leise weiter La virtù te fa belo anca deforme, La virtù te fa vivo anca sepolto.
Obwohl ich nie zuvor durch diesen Geheimgang gegangen war, war ich mittlerweile vertraut genug mit der Palastanlage, um eine zumindest allgemeine Vorstellung zu haben, wohin die Windungen und Abbiegungen führten. Den ganzen Weg über fuhr Mafìo fort, leise das Lob der Tugend zu singen. Wir kamen an zahlreichen anderen verschlossenen Türen in der Mauer vorüber, doch meinte ich, erst eine beträchtliche Strecke zurücklegen zu müssen, ehe ich es wagte, eine der Türen auch nur einen Spalt weit zu öffnen und hinauszulugen.
Sie ging auf einen kleinen Garten hinaus und war nicht weit von jenem Flügel des Palasts entfernt, in dem wir untergebracht waren. Ich versuchte, Mafïo zum Schweigen zu bewegen, als ich ihn ins Freie zog, doch nützte das nichts. Er weilte in irgendeiner anderen Welt und hätte es nicht gemerkt, und wenn ich ihn durch den Lotusteich des Gartens gezogen hätte. Zum Glück war kein Mensch unterwegs, und ich glaube auch nicht, daß uns irgend jemand sah, als ich ihn auch noch den Rest des Wegs bis zu seinen Gemächern entlangzog. Dort jedoch mußte ich ihn -da ich ja keine Ahnung hatte, wo seine Hintertür war durch den üblichen Eingang hineinbringen, wo uns dieselbe Dienerin in Empfang nahm, die mich schon am Abend zuvor eingelassen hatte. Ich war etwas überrascht, aber auch hoch erfreut, daß sie weder Schrecken noch Entsetzen bekundete, als sie ihren Herrn und Meister und ehemaligen Liebhaber in solcher grotesken Aufmachung sah. Sie machte nur wieder ein trauriges, mitleidiges Gesicht, als er gurrend sang:
La virtù è un cavedàl che sempre è rico,
Che no patisse mai rùzene o tarlo…
»Dein Herr ist krank«, sagte ich zu der Frau, denn etwas anderes fiel mir nicht ein - und es stimmte ja.
»Ich werde mich um ihn kümmern«, sagte sie mit ruhigem Mitgefühl. »Keine Sorge.«
… Che sempre cresse e no se pol robarlo,
E mai no rende el possessòr mendico.
Ich war froh, ihn ihrer Pflege überlassen zu können. Und warum soll ich es nicht an dieser Stelle sagen -Mafio blieb noch lange in ihrer zarten und rücksichtsvollen Pflege, denn seinen gesunden Menschenverstand gewann er nie wieder zurück.
Ich hatte bereits einen ziemlich anstrengenden Tag hinter mir, und der gestrige war womöglich noch schlimmer gewesen; zwischendurch hatte ich in der Nacht kein Auge zugedrückt. Deshalb schleppte ich mich in meine eigenen Gemächer, um mich auszuruhen und mich von den Dienerinnen und der schönen Hui-sheng etwas verwöhnen zu lassen, während ich Ali Babar Gesellschaft leistete und zusah, wie er sein eigenes Elend im Rausch ertränkte, bis er das Bewußtsein verlor. Achmad sah ich nie wieder. Er wurde angeklagt, ihm wurde der Prozeß gemacht und das Urteil über ihn gesprochen - und das alles noch am selben Tag. Deshalb will auch ich schnell darüber berichten. Ich habe nicht die geringste Lust, mich bei diesem Thema länger aufzuhalten, denn es ergab sich, daß ich sogar noch in meiner Rache einen weiteren Verlust hinnehmen mußte.
In all den Jahren, die seither vergangen sind, habe ich es nie auch nur im geringsten bedauert, Achmad-az-Fenaket mit Hilfe eines
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