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Marco Polo der Besessene 2

Marco Polo der Besessene 2

Titel: Marco Polo der Besessene 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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zunächst laßt uns hier auf der Promenade am Fluß entlanggehen.«
    Es war eine schöne, balsamische und vom vollen Mond erhellte Nacht, so daß wir gut sehen konnten. Vom Palast aus gingen wir eine Straße hinunter, die parallel zum Fluß verlief. Sie wies auf der einen Seite eine hüfthohe Balustrade auf, die zum größten Teil aus sonderbar geformten Steinen bestand runden Steinen mit einem Loch in der Mitte, so groß, daß ich sie gerade mit beiden Armen hätte umspannen können, und etwa taillendick. Für Mühlsteine waren sie zu klein, und für Räder zu schwer. Wozu sie früher auch immer gedient haben mochten, hier hatten sie einen letzten Platz gefunden, waren hochkant aufgestellt und Rand auf Rand gesetzt worden; die freien Stellen dazwischen hatte man mit kleineren Steinen ausgefüllt, um die Balustrade zu einer festen und oben ebenen Mauer zu machen. Ich schaute hinüber und erkannte, daß es auf der anderen Seite senkrecht hinunterging bis zu dem etwa in einer Tiefe von doppelter Stockwerkshöhe daliegenden Fluß.
    »Dann steigt der Fluß wohl beträchtlich bei Flut, nicht wahr?« sagte ich.
    »Nein«, erklärte Fung. »Die Stadt liegt auf dieser Seite hoch über dem Wasser - des hai-xiao wegen. Schaut mal aufmerksam dort hinüber, nach Osten, wo das Meer ist.«
    So standen er und ich und Hui-sheng gegen die Balustrade gelehnt da und spähten über die flache, mondbeschienene Sandbank des Deltas hinweg, das sich gesichtslos bis zum schwarzen Horizont erstreckte. Vom Meer war selbstverständlich nichts zu sehen, denn das lag einige zweihundert li jenseits dieser weitgestreckten Sandbank -oder zumindest tat es das für gewöhnlich. Denn jetzt hörten wir, wie weit in der Ferne ein Rauschen aufkam, gleichsam als galoppierte ein mongolisches Reiterheer auf uns zu. Hui-sheng zupfte mich am Ärmel, was mich überraschte, denn sie konnte ja nichts gehört haben. Doch wies sie auf ihre andere Hand, die auf der Balustrade ruhte, und bedachte mich mit einem fragenden Blick. Da begriff ich, daß sie abermals dieses Rauschen fühlte. Mochte es auch weit entfernt sein, dachte ich, es mußte schon ein Donnergetöse sein, wenn es eine Steinmauer zum Vibrieren brachte. Ich konnte nur mit den Achseln zucken. Es lag auf der Hand, daß Fung das, was da auf uns zukam, erwartete, und zwar offensichtlich ohne jede Angst.
    Abermals streckte er die Hand aus, und ich sah einen feinen Silberstreif das Dunkel des Horizonts aufreißen. Ehe ich noch fragen konnte, was das sei, war es nahe genug, es selbst erkennen zu können: Ein Streifen weißschäumenden, im Mondlicht funkelnden Wassers, der da über die Sandwüste genauso schnell herangerauscht kam wie eine Front in gestrecktem Galopp angreifender, silbergepanzerter Reiter. Dahinter stand das ganze Gewicht des Kithai-Meeres. Wie ich schon gesagt hatte, weitete die Sandbank sich trichterförmig aus
    -dort draußen, wo sie mit dem Meer zusammenstieß, rund hundert li breit, hier, an der Flußmündung, schmal. So rollte die heranrauschende See als brodelnde Wasserwand ins Delta herein, wurde dann jedoch rasch eingeengt, zusammengedrängt und in die Höhe getrieben und das gesamte dunkle Wasser eine einzige weißbrodelnde Masse. Der hai-xiao entwickelte sich allzu schnell für mich; ich konnte nicht einmal einen Ruf der Überraschung ausstoßen. Da kam eine Wasserwand auf uns zugerast, breit wie das Delta und so hoch wie ein Haus. Wäre nicht das schaumige Glitzern gewesen, man hätte meinen können, es wäre die Lawine, die ich über das Tal in Yun-nan hatte herniedergehen lassen -und grummeln und rauschen tat es genauso.
    Ich schaute hinunter auf den Fluß unter uns. Wie ein kleines Tier, das aus seinem Bau hervorkommt und einem tollwütigen Hund mit weißschäumenden Lefzen gegenübersteht, zog er sich zurück, floß rückwärts, wich aus, versuchte, den verstopften Ausgang seines Baus aufzugeben und sich in Richtung Berge zurückzuziehen, aus denen er ursprünglich kam. Im nächsten Augenblick raste die wildschäumende Wasserwand nur wenige Fuß unter uns an uns vorüber, und Gischtfetzen wurden bis zu uns heraufgeschleudert. Ich war völlig gebannt von dem Schauspiel, obwohl ich Meerwasser immerhin kannte. Doch ich meine, bei Hui-sheng war das nicht der Fall, und so drehte ich mich nach ihr um, um nachzusehen, ob sie Angst hätte. Keineswegs. Mit leuchtenden Augen lächelte sie mich an, und feinzerstäubtes Wasser glomm im Mondlicht opalisierend in ihrem Haar. Für jemand in

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