Marco Polo der Besessene 2
Bildrolle meines Lebens ist wesentlich weiter aufgerollt, als das bei Euch der Fall ist. Und jede weitere Drehung der Stäbe enthüllt ein Bild, auf dem immer weniger Freunde um mich herumstehen. Eines Tages, Marco, werdet Ihr Eure verlorene Dame beneiden. Sie starb im Sommer ihres Lebens und hat nicht erleben müssen, wie alles das, was rund um sie her blühte und grün war, vergilbte, welkte und davongeblasen wurde wie Herbstlaub.« Ein Zittern ging durch ihn hindurch, gleichsam, als spürte er bereits die Winterwinde. »Ich werde es bedauern, meine Freunde Polo fortziehen zu sehen, doch würde ich Euch den langjährigen Dienst und die Freundschaft der Familie schlecht lohnen, wollte ich jetzt wimmernd fordern, daß sie fortgesetzt werden. Habt Ihr bereits Reisevorbereitungen getroffen?«
»Selbstverständlich nicht, Sire. Nicht ohne Eure Erlaubnis.«
»Die habt Ihr selbstverständlich. Doch jetzt möchte ich um einen Gefallen bitten. Einen letzten Auftrag für Euch, den Ihr unterwegs ausführen könnt und der Euch die Reise im übrigen
erleichtern dürfte.«
»Ihr braucht nur zu befehlen, Sire.«
»Ich möchte fragen, ob Ihr und Nicole und Mafìo meinem Großneffen Arghun in Persien eine gewisse wertvolle und sehr delikate Fracht überbringen könntet. Als Arghun das Ilkhanat übernahm, nahm er als politische Geste seinen Untertanen gegenüber eine Perserin zur Gemahlin. Er hat zweifellos noch andere Frauen daneben, doch wünscht er jetzt als Erste Gattin und damit Ilkhatun eine Frau, die rein mongolischen Blutes und mongolischer Erziehung ist. Er hat deshalb Abgesandte geschickt und bittet mich, ihm eine Braut zu verschaffen, und ich habe eine Dame namens Kukachin für ihn ausgesucht.«
»Die Witwe Eures Sohnes Chingkim, Sire?«
»Nein, nein. Sie trägt zwar denselben Namen, ist aber keine Verwandte, und Ihr habt sie nie kennengelernt. Ein junges Mädchen, direkt von den Ebenen, vom Stamme der Bayaut. Ich habe für eine reichliche Mitgift gesorgt und außerdem für die übliche Brautausstattung und einen Hofstaat aus Dienern und Jungfrauen; sie ist bereit, nach Persien zu reisen zu dem Mann, dem sie verlobt ist. Doch sie über Land hinzuschicken, würde bedeuten, daß sie durch das Gebiet des Ilkhan Kaidu hindurch müßte. Dieser heimtückische Vetter von mir ist so aufsässig wie eh und je, und Ihr wißt ja, wie feindlich er seinen Vettern, die das Ilkhanat Persien einnehmen, gesonnen war. Ich würde es nicht für völlig ausgeschlossen halten, daß sich Kaidu der Dame Kukachin bemächtigte und sie festhielte -entweder, um eine Lösegeldforderung von Arghun durchzusetzen oder um einfach das Gehässige seines Tuns zu genießen.« '
»Ihr wollt, daß wir ihr durch dieses unsichere Gebiet das Geleit geben?«
»Nein. Mir wäre es lieber, sie würde diesen Weg gar nicht erst einschlagen. Meine Vorstellung geht dahin, sie den ganzen Weg per Schiff zurücklegen zu lassen. Nun sind jedoch alle meine Schiffskapitäne Han, und vakh! -die Seeleute der Han haben bei unserem Invasionsversuch von Jihpen-kwe so versagt, daß ich zögere, sie mit diesem Auftrag zu betrauen. Ihr und Eure Onkel gehören jedoch gleichfalls zu einem Seefahrervolk. Ihr kennt Euch aus mit dem offenen Meer und dem Umgang mit Schiffen.«
»Das stimmt schon, Sire, aber wir sind eigentlich nie wirklich Kapitäne eines solchen gewesen.«
»Ach, mit der reinen Schiffahrt werden die Han schon fertig. Ich würde Euch bloß bitten, das Oberkommando zu übernehmen. Ein gestrenges Auge auf die Han-Kapitäne zu haben, damit die nicht mit der Dame auf und davon gehen, oder sie an Piraten verkaufen, oder sie unterwegs verlieren. Und Ihr würdet ein Auge auf den Kurs haben, damit die Kapitäne nicht die ganze Flotte ans Ende der Welt führen.«
»Jawohl, dafür könnten wir sorgen, Sire.«
»Ihr würdet abermals mein pai-tzu tragen und besäßet damit fraglos unbegrenzte Gewalt sowohl auf See als auch an Land in jedem Hafen, den Ihr unterwegs anlauft. Es würde angenehme Reisebedingungen für Euch von hier bis Persien bedeuten, anständige Unterbringung mit gutem Essen und guter Bedienung. Insbesondere für den kranken Mafìo würde das eine große Erleichterung sein, und Ihr hätte immer jemand, der ihn pflegt. In Persien würdet Ihr auf eine karwan treffen, die die Dame Kukachin abholen soll, und Ihr würdet gut und bequem dorthin gebracht, wo immer Arghun im Augenblick seine Hauptstadt hat. Und gewiß würde er dafür sorgen, daß Ihr von dort aus
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