Marco Polo der Besessene 2
Schwangerschaft unterbrochen werden müsse. Ich habe im Laufe meines Lebens mehreren afrikanischen Konkubinen bei der Geburt geholfen, und von allen Rassen haben die schwarzen das engste Becken. Trotzdem bekommen sie Kinder. Der Kopf eines neugeborenen Kindes ist erstaunlich formbar, und so war ich nicht ohne Hoffnung, daß dieses ohne allzu große Schwierigkeiten zur Welt kommen könnte. Leider war das nicht der Fall.«
Er hielt inne, um seine nächsten Worte sehr sorgfältig zu wählen. »Nach einiger Zeit der Wehen war es deutlich, daß der Fötus nicht mehr vor-und nicht zurückkonnte. Und an diesem Punkt liegt die Entscheidung eben doch beim Arzt. Ich führtemit Hilfe von Theriak-Öl eine Bewußtlosigkeit der Dame her. Der Fötus wurde zerteilt und herausgeholt. Ein voll ausgetragener Junge, offenbar völlig normal entwickelt. Doch waren die inneren Organe der Mutter bereits zu sehr in Mitleidenschaft gezogen worden, Gefäße waren zerrissen, es kam zu Blutungen an Stellen, wo wir sie nicht stillen konnten. Die Dame Hui-sheng ist aus dem Theriakkoma nicht mehr erwacht. Es war ein leichter und schmerzloser Tod.«
Ich wünschte, die letzten Worte hätte er sich erspart. So gut gedacht, stellten sie doch rundheraus eine Lüge dar. Ich habe zu viele Tode miterlebt, um zu glauben, daß je ein Tod »leicht« ist. Und ausgerechnet dieser »schmerzlos«? Ich wußte besser als er, was das hieß: nach einiger Zeit der Wehen. Ehe er ihr gnädig Vergessen gewährt und das Kind zerstückelt und herausgeholt hatte, hatte Hui-sheng Stunden durchlitten, die kein Ende genommen hatten wie Höllenqualen. Ich sagte jedoch nur völlig benommen:
»Ihr habt getan, was Ihr konntet, Hakim Gansui. Ich bin Euch dankbar. Kann ich sie jetzt sehen?«
»Freund Marco, sie ist vor vier Tagen gestorben. In diesem Klima… Nun, die Bestattung war schlicht und würdig, ohne alle barbarischen Details, wie sie hier üblich sind. Ein Scheiterhaufen bei Sonnenuntergang, in Anwesenheit des Wang Bayan und des Hofes als Trauernde…«
Wie fühllos unterzog ich mich der Begrüßungsformalitäten von Bayan und hörte mir seine rauhen Beileidsbekundungen an und sagte ihm, sobald ich mich etwas ausgeruht hätte, würde ich aufbrechen, um Kubilai die Buddha-Reliquie zu überbringen. Dann ging ich mit Arùn in jene Gemächer, in denen Hui-sheng und ich zuletzt gelebt hatten und wo sie auch gestorben war. Arùn leerte Truhen und Schränke, um mir packen zu helfen; dabei suchte ich nur ein paar Andenken aus, sie mitzunehmen. Ich sagte dem Mädchen, sie könne alle Kleider und die Toilettengegenstände haben, die Hui-sheng jetzt nicht mehr gebrauchen konnte. Doch Arùn ließ es sich nicht nehmen, mir jedes Stück einzeln zu zeigen und mich jedesmal um Erlaubnis zu bitten. Man hätte meinen sollen, daß mir das nur unnötigen Schmerz bereitete, doch bedeuteten mir die Kleider, das Geschmeide und der Haarschmuck ohne Hui-sheng nicht das geringste mehr. Ich hatte mir vorgenommen, nicht zu weinen zumindest so lange nicht, bis ich auf dem Weg nach Norden nicht irgendein einsames Plätzchen gefunden hätte, wo ich das unbeobachtet tun konnte. Es kostete mich viel Überwindung, das gebe ich gern zu, die Tränen nicht einfach fließen zu lassen, mich nicht auf das leere Bett zu werfen, das wir miteinander geteilt hatten, und ihre Gewänder nicht an mich zu pressen. Aber ich sagte mir: »Ich werde dies ertragen wie ein stumpfsinniger Mongole - nein, wie ein praktisch denkender Kaufmann.«
Jawohl, am besten wie ein Kaufmann, denn der ist an die Vergänglichkeit der Dinge gewöhnt. Ein Kaufmann mag mit Schätzen handeln, und er mag jubeln, wenn ein ungewöhnlicher Schatz ihm unter die Finger kommt, doch weiß er, daß er ihn nur für eine kurze Zeit besitzt und er ihn dann in andere Hände übergeben muß -wozu ist ein Kaufmann sonst da? Es mag ihm leid tun, diesen Schatz wiederhergeben zu müssen, doch wenn er ein richtiger Kaufmann ist, ist er um so reicher, wenn er ihn nur für kurze Zeit besessen hat. Und ich war bereichert, wirklich! Wiewohl sie mir jetzt genommen war, hatte Hui-sheng mein Leben unermeßlich reich gemacht und mir einen Schatz an Erinnerungen hinterlassen, wie sie kostbarer nicht sein konnten. Vielleicht war ich sogar ein besserer Mensch dadurch geworden, daß ich sie gekannt hatte. Jawohl, ich hatte profitiert. Das war eine höchst praktische Art, meinen Verlust zu betrachten, denn er erleichterte es mir, meinen Kummer zu ertragen. Ich
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