Marco Polo der Besessene 2
Schiffe langsam aus der Flußmündung aufs offene Meer hinaus, die riesigen zhu-gan-Lattensegel wurden gesetzt, der Wind faßte, und wir segelten gen Westen in Richtung Heimat. Doch als wir eine hohe Landzunge umrundeten und in südwestlicher Richtung in einen schmalen Kanal einliefen und zu beiden Seiten fern die Ufer zweier Inseln erkennen konnten, ließ ein Ausguck an der Mastspitze einen Ruf erschallen, und zwar nicht einen der üblichen kurzen Seemannsrufe wie »Schiff in Sicht!« oder »Riffe voraus-!« -und das zweifellos, weil es keine allgemein übliche Kurzbezeichnung für das gibt, was er sah. Er rief nur mit fassungsloser Stimme herunter: »Schaut, wie die See kocht!«
Alle an Deck wandten wir uns der Reling zu, um über Bord zu sehen - und genau das schien die Sunda-Straße zu tun: sprudelnd zu kochen wie ein Kessel Wasser, den man zur cha-Bereitung auf eine Glutpfanne gestellt hat. Und dann hob sich plötzlich mitten in der Flotte das Meer in die Höhe, öffnete sich wie das Maul eines Ungeheuers und ließ eine gewaltige Dampfwolke entweichen. Diese schoß mehrere Minuten lang immer weiter in die Höhe und verteilte sich zwischen all den Schiffen. Wir Passagiere hatten alles mögliche ausgerufen, doch als die Dampfwolke uns einhüllte, fingen wir an, uns zu räuspern und zu husten, denn es stank wie nach verfaulten Eiern. Als der Dampf über uns hinweggezogen war, wurden wir über und über von einem feinen gelben Puder bestäubt. Ich wischte mir den Staub aus den brennenden Augen und leckte ihn mir von den Lippen; er schmeckte deutlich nach Schwefel.
Die Kapitäne riefen nach der Mannschaft, es wurde viel hin und her gelaufen und an den Spieren der Segel gedreht -dann vollführten all unsere Schiffe eine Kehrtwendung und flohen, woher sie gekommen waren. Als die kochende und rülpsende See ein gutes Stück hinter uns lag, erklärten die Schiffskapitäne mir in verzeihungheischendem Ton:
»Ein Stück weiter die Meerenge entlang liegt ein düsterer Kreis von Meeresbergen, die Pulau Krakatau heißen. Bei diesen Gipfeln handelt es sich um die Spitzen unterseeischer Vulkane, und wenn sie ausbrechen, richten sie verheerende Schäden an. Es entstehen berghohe Wellen, welche die ganze Sunda-Straße leerfegen von jeglichem Lebewesen. Ob das kochende Wasser da hinten einen Ausbruch ankündigt, kann ich nicht sagen, aber wir können nicht das Risiko auf uns nehmen hindurchzusegeln.«
So war unsere Flotte gezwungen, noch einmal durch die Jawa-See zurückzulaufen und sich dann nach Nordwesten zur Malakka-Straße zwischen Klein-Jawa und dem Land der Malayu zu wenden. Das war eine Meerenge, die dreitausend li lang war und so breit, daß ich sie für ein richtiges Meer gehalten haben würde, hätten die Umstände uns nicht gezwungen, von einer Seite zur anderen zu kreuzen, so daß ich mir sehr wohl darüber klar wurde, daß an beiden Rändern sich weites Land erstreckte und ich diese Lande besser kennenlernte, als ich mir gewünscht hätte. Was geschah, war folgendes: Das Wetter verschlechterte sich wieder und hielt sich hartnäckig, was uns zwang, ständig zwischen der versumpften Küste von Sumatera und der bewaldeten Malayu-Seite im Osten hin-und herzulaufen und in Buchten des einen oder des anderen Ufers Schutz zu suchen - und zwecks Wasserübernahme an kleinen Rohrdörfern festzumachen, die so unbedeutend waren, daß es sich kaum lohnte, ihre Namen zu behalten, obwohl sie Namen hatten: Muntok und Singapura und Melaka und viele andere, die ich vergessen habe.
Wir brauchten fünf volle Monate, um die Malakka-Straße hinter uns zu bringen. Am Nordende gab es offenes Meer und hätten wir geradenwegs nach Westen laufen können, doch hielten unsere Kapitäne einen nordwestlichen Kurs und brachten uns in vorsichtig kurzen Schlägen von einer Insel zur nächsten auf einer langen Kette zweier Inselgruppen, die Necuveram-und Angamanam-Archipel hießen. Schließlich erreichten wir eine Insel, von der es hieß, es sei die am weitesten nach Westen vorgeschobene der Angamanam-Gruppe. Dort ankerten wir auf der Reede und blieben lange genug, um all unsere Wassertanks zu füllen und soviel Früchte und Gemüse an Bord zu nehmen, wie wir aus den wenig gastfreundlichen Eingeborenen herauslocken konnten.
Dies waren die kleinsten Menschen, die ich je gesehen habe und die häßlichsten. Männer wie Frauen liefen splitternackt umher, doch der Anblick einer Angamanam-Frau weckte keinerlei Begehren, nicht einmal bei Seeleuten, die
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