Marco Polo der Besessene 2
verkaufen, sah dem ganzen leidenschaftslos zu und sagte dann -was ein Han-Matrose dolmetschte: »Der Mann muß einen Steinfisch angefaßt haben. Ein giftigeres Tier gibt es nirgends im Meer. Wer ihn berührt, muß einen so furchtbaren Todeskampf durchstehen, daß er wahnsinnig wird, ehe er endlich stirbt. Wenn das nochmals jemand passiert, zerteilt eine reife durian und legt die Frucht auf die Wunde. Das ist das einzige Heilmittel.«
Ich wußte, daß die durian-Frucht viele lobenswerte Eigenschaften besitzt - ich hatte gierig davon gegessen, seit ich erfahren hatte, daß sie hier wuchsen -, doch wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, daß die Frucht auch Heilkräfte hatte. Doch kurz darauf kam eines der Mädchen, die Kukachins Haar und Frisur in Ordnung hielten, von einer kleinen Schwimmpartie zurück und weinte über die Schmerzen, die sie sich durch die Stiche einer Rückenflosse zugezogen hatte. Diesmal versuchte der Arzt es mit der durian. Zu unserer aller Überraschung half das. Das Mädchen hatte nur eine Zeitlang einen geschwollenen, schmerzenden Arm. Der Arzt machte sich sorgfältig eine Notiz für seine Sammlung von materia medica und erklärte ziemlich überwältigt: »Soweit ich es beurteilen kann, zehrt das durian-Fruchtfleisch das Steinfischgift irgendwie auf, bevor die schreckliche Wirkung voll einsetzt.«
Außerdem sahen wir mit an, was für den Verlust von zwei weiteren Mitgliedern unserer Gesellschaft verantwortlich war. Der Regen hörte schließlich auf, die Sonne kam heraus und unsere Kapitäne standen immer noch auf dem Deck, schauten mißtrauisch zum Himmel empor und warteten, ob das Wetter weiterhin schön bliebe, jedenfalls lange genug, damit wir Anker lichten und davonsegeln konnten. Sie murmelten Han-Beschwörungen, die dies bewirken sollten. Die jadegrüne Jawa-See sah an diesem Tag so einladend aus, daß selbst ich versucht war hineinzuspringen und tatsächlich zwei andere verlockte, es zu tun, nämlich Koja und Apushka, zwei von unseren drei Abgesandten des Ilkhan Arghun. Sie forderten sich zu einem Wettschwimmen bis zu einem etwas entfernteren Riff auf, sprangen von der Bordwand hinunter und schwammen prustend und spritzend davon, während wir anderen uns an der Reling einfanden, um sie anzufeuern.
Da kam aus heiterem Himmel eine Reihe von Albatrossen heruntergerauscht. Ich nehme an, daß sie durch den langanhaltenden Regen in ihrer normalen Futtersuche gehindert worden und es leid waren, nur auf die Abfälle unserer Schiffe zu warten. Jedenfalls wollten sie offensichtlich frisches Fleisch oder frischen Fisch. Immer wieder kamen sie im Sturzflug auf die beiden Schwimmer herniedergeschossen und hackten mit ihren langen gebogenen Schnäbeln nach den Körperteilen der Männer, die über dem Wasser zu sehen waren, und das waren vor allem ihre Köpfe. Koja und Apushka hörten auf zu schwimmen und versuchten, die sie bedrängenden Vögel zu vertreiben und gleichzeitig den Kopf über Wasser zu behalten. Wir hörten sie erst rufen, dann fluchen und schließlich schreien, und wir sahen, wie ihnen das Blut übers Gesicht lief. Als die Albatrosse ihnen beiden die Augen ausgehackt hatten, versanken die Männer verzweifelt unter Wasser. Sie tauchten noch ein-oder zweimal auf, um Luft zu holen, doch darauf warteten die Vögel nur. Schließlich ertranken die beiden einfach; offenbar war ihnen das lieber, als in Stücke gerissen zu werden. Sobald jedoch ihre Leichen schlaff und aufgedunsen auf dem Wasser trieben, ließen die Albatrosse sich auf ihnen nieder und rupften und zerstückelten sie, bis der Tag vorüber war.
Wie traurig! Da hatten Apushka und Koja die zahllosen Gefahren der langen Oberlandreise von Persien bis Kithai und dann auch noch die lange Schiffsreise bis hierher bestanden, um hier so völlig unerwartet und auf vollkommen unmongolische Weise ums Leben zu kommen. Wir alle, besonders aber Kukachin, betrauerten ihren Verlust. Wir dachten nicht daran, es als Vorwarnung irgendeines künftigen und vielleicht noch schmerzlicheren Verlustes zu nehmen -mein Vater murmelte nicht einmal wie sonst, daß »Böses nie zu zweit, sondern selbdritt auftritt« - obwohl, wie es sich herausstellte, wir darin durchaus ein böses Omen hätten sehen können.
Da das Wetter noch zwei weitere Tage schön und klar blieb, rangen unsere Kapitäne sich zu dem Schluß durch, daß es wohl noch weiterhin schön bleiben würde. Die Mannschaft wurde an ihre riesigen Riemen gesetzt und ruderte unsere behäbigen
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