Marco Polo der Besessene 2
ritten. Nun, das war eine betrübliche Nachricht, aber sie kam ja nicht unerwartet. Kubi-lai war damals achtundsiebzig Jahre alt gewesen und einfach den Verheerungen des Alters erlegen. Einige Zeit später erfuhren wir weiteres: Sein Tod hatte keine Erbfolgekriege ausgelöst, und sein Enkel Temur war ohne Widerstand auf den Thron gehoben worden.
Hier im Abendland hatte es während unserer Abwesenheit gleichfalls Veränderungen unter den Herrschern gegeben. Der Doge Tiepolo, der mich aus Venedig verbannt hatte, war gestorben; jetzt trug Piero Gradenigo die scufieta. Desgleichen seit langem das Zeitliche gesegnet hatte Seine Heiligkeit, Papst Gregor X., den wir in Acre als Archidiakon Visconti kennengelernt hatten; seither hatte es in Rom eine ganze Reihe anderer Päpste gegeben. Auch war die Stadt Acre an die Sarazenen gefallen, damit bestand das Königreich Jerusalem nicht mehr, und die ganze Levante befand sich jetzt in Händen der Muslime
- es sah ganz so aus, als ob das für immer bleiben würde. Da ich in Acre und für kurze Zeit Zeuge gewesen war, wie der Achte Kreuzzug recht planlos von Edward von England angeführt wurde, glaube ich, kann ich sagen, daß ich neben all den anderen Dingen, die ich auf meinen Reisen erlebt hatte, auch den letzten der Kreuzzüge miterlebt hatte.
Jetzt fingen mein Vater und meine Stiefmutter an – möglicherweise zu diesem Vorhaben durch die vielen Menschen angeregt, die uns in der Ca' Polo besuchten, vielleicht aber auch, weil sie dachten, wir müßten unserem neuen Reichtum entsprechend leben, unter Umständen aber auch, weil sie meinten, es uns jetzt endlich leisten zu können, wie der Ene-Aca-Adel zu leben, dem wir Polo immer angehört hatten -, davon zu reden, eine neue und größere Casa Polo zu bauen. Was zur Folge hatte, daß sich zum Strom der Besucher jetzt auch noch Baumeister und Steinmetze und andere ehrgeizige Handwerker gesellten, die eifrig Skizzen und Entwürfe und Vorschläge unterbreiteten, als gälte es, den Palast des Dogen zu übertreffen. Das erinnerte mich an etwas, und ich erinnerte meinen Vater daran:
»Bis jetzt haben wir dem Dogen Gradenigo noch keinen Höflichkeitsbesuch abgestattet. Mir fällt gerade ein, daß wir von dem Augenblick an, da wir offiziell Mitteilung machen, wieder in Venedig wohnhaft zu sein, uns der Befragung durch die Steuereinnehmer der Dogana aussetzen. Die finden bestimmt irgendeine Kleinigkeit unter all den vielen Dingen, die wir im Laufe der Jahre hergeschafft haben und für die Zio Marco vielleicht versäumt hat, die geringfügige Steuer zu bezahlen. Die werden es sich dann nicht nehmen lassen, auch noch den letzten möglichen bagatìn aus uns herauszuquetschen. Aber wir können es nicht für immer aufschieben, dem Dogen unsere Aufwartung zu machen.«
So baten wir in aller Form um eine Audienz, nahmen an dem bestimmten Tag Zio Mafio mit, und als wir der Bitte gemäß dem Dogen ein paar Geschenke machten, überreichten wir ihm auch einige in Mafìos Namen. Ich habe vergessen, was er und mein Vater überreichten, ich jedoch übergab Gradenigo eine der aus Gold und Elfenbein bestehenden pai-tzu-Plaketten, die wir als Sendboten des Khans Aller Khane getragen hatten, und außerdem das Drückmesser mit den drei Klingen, das mir im Osten so oft gute Dienste geleistet hatte. Ich zeigte dem Dogen, wie sinnreich es funktioniert, er spielte eine Weile damit herum und bat mich dann, ihm zu erzählen, bei welchen Gelegenheiten ich es denn gebraucht hätte; was ich ihm dann kurz erzählte.
Danach richtete er ein paar höfliche Fragen an meinen Vater, bei denen es vornehmlich um den Ostwesthandel und die Aussichten Venedigs ging, diesen zu verstärken. Sodann brachte er seine Freude darüber zum Ausdruck, daß wir -und durch uns Venedig - durch unseren Aufenthalt im Morgenland so wohlhabend geworden seien. Wie erwartet, sagte er, er hoffe, wir könnten die Dogana beruhigen, daß immer der angemessene Anteil all unserer erfolgreichen Unternehmungen an die Schatzkammer der Republik abgeführt worden sei. Wir erklärten, wie man wiederum von uns erwartete, wir sähen dem Besuch der Steuereintreiber gern entgegen; sie könnten sich die makellos geführten Rechnungsbücher der Compagnia Polo genau ansehen. In der Hoffnung, nun entlassen zu sein, erhoben wir uns, doch der Doge hob eine seiner reichberingten Hände und sagte:
»Nur eines noch, Messen. Vielleicht ist es Euch entfallen, Messer Marco -ich weiß, Ihr hattet an viele andere Dinge
Weitere Kostenlose Bücher