Marco Polo der Besessene 2
hatte, und dieser bewies uns jetzt, warum er ›groß‹ genannt wurde. Unsere squadra, das konnten wir aus der Ferne ausmachen, war den Genuesern zahlenmäßig überlegen, weshalb unser Almirante Dándolo befahl, auf den Feind zuzurauschen und sofort anzugreifen. Doria ließ zu, daß wir herankamen und sieben oder neun von seinen Schiffen gefechtsunfähig machten -ein bewußt in Kauf genommenes Opfer, damit unsere gesamte squadra verlockt wurde, mitten unter seine Schiffe zu laufen. Und dann kamen aus dem Nirgendwo oder vielmehr hinter der Insel Peljesac, hinter der sie sich verborgen gehalten hatten -zehn oder fünfzehn weitere genuesische Kampf schiffe. Der Kampf wogte zwei Tage hin und her und forderte auf beiden Seiten viele Erschlagene und Verwundete, doch der Sieg gehörte Doria, denn bei Sonnenuntergang des zweiten Tages hatten die Genueser unsere gesamte squadra und einige siebentausend venezianische Seeleute als Prise genommen. Ich war einer von ihnen.
Die Doge Particiaco wurde, wie all die anderen venezianischen Galeeren -immer noch von der Prisenmannschaft bemannt, doch unter dem Kommando eines genuesischen Comito -um die Stiefelspitze Italiens herum, durch das Tyrrhenische und später das Ligurische Meer nach Genua verbracht. Vom Wasser aus sah sie gar nicht so aus, als wäre es eine schlechte Stadt, in ihr eingekerkert zu sein: die Palazzi staffelten sich schwarzen und weißen Tortenschichten gleich vom Hafen die Hänge hinauf. Doch als wir an Land getrieben wurden, stellten wir fest, daß Genua Venedig nun wirklich nicht das Wasser reichen konnte: Nichts als verwinkelte Straßen und Gassen und enge kleine Piazze und sehr schmutzig, da ja keine Kanäle da waren, alle Abfälle fortzuschwemmen.
Ich habe keine Ahnung, wo die gewöhnlichen Seeleute, Ruderer, Bogenschützen und balestrieri gefangengehalten wurden, doch wenn es der Tradition entsprechend zuging, haben sie das Ende des Krieges in Elend, Not und Schmutz abwarten müssen. Offiziere und waffentragende Edelleute wie ich wurden wesentlich besser behandelt und in dem leerstehenden und heruntergekommenen Palazzo irgendeines erloschenen religiösen Ordens an der Piazza der fünf Laternen unter Arrest gestellt. Das Gebäude war kärglich möbliert, sehr kalt und feucht -ich leide seither bei kaltem Wetter zunehmend unter Kreuzschmerzen -, doch unsere Gefängniswärter waren höflich, verpflegten uns angemessen, und wir durften auch den Freunden von der Bruderschaft der Gerechtigkeit, die sich für Gefangene einsetzten, Geld geben, damit sie Dinge für uns kauften, die uns das Leben erträglicher machten. Alles in allem war es eine angenehmere Zeit, als ich sie im vulcano-Verlies meiner Heimatstadt Venedig zugebracht habe. Allerdings erklärten unsere Häscher uns, in einer Hinsicht brächen sie mit der Tradition. Sie sagten, sie hätten die Erfahrung gemacht, es liege kein Gewinn darin, durch Lösegelder zu Profit zu kommen, wenn man denselben Offizieren wenig später auf einem gleichfalls umstrittenen Seegebiet wieder gegenüberstehe. Deshalb blieben wir Gefangene, bis der Krieg zu Ende sei.
Nun, das Leben hatte ich nicht verloren, als ich in den Krieg zog, doch sah es ganz danach aus, als würde mir ein beträchtlicher Teil davon verlorengehen. Sorglos hatte ich Monate und Jahre damit verschwendet, durch endlose, unfruchtbare Wüsten oder Schneefelder in den Bergen zu ziehen, doch zumindest war ich bei all diesen Reisen an der gesunden, frischen Luft gewesen und hatte vielleicht unterwegs etwas gelernt. Wenn man jedoch in einem Gefängnis schmachtet, gibt es nicht viel zu lernen. Diesmal hatte ich auch keinen Mordecai Cartafilo als Zellengenossen.
Soweit ich feststellte, waren alle meine Mitgefangenen entweder dilettanti wie ich selbst - Edelleute, die nur widerwillig ihre Militärdienstpflicht ableisteten -oder Berufssoldaten. Die dilettanti waren außerstande, über irgend etwas anderes zu reden als über Weinsorten und über ihre Sehnsucht, zurückzukehren zu ihren Festen und Ballsälen und Tanzpartnerinnen. Die Offiziere konnten zumindest über Kriegserlebnisse berichten. Doch auch solche Geschichten klingen, hat man sie ein-oder zweimal erzählt, eine wie die andere; worüber sie sich sonst unterhielten, das waren Ränge und Beförderungen, Dienstalter und wie wenig sie von ihren Vorgesetzten geschätzt würden. Ich vermute, daß jeder Militär in der gesamten Christenheit einen Rang bekleidet, der mindestens zwei Streifen unter dem liegt,
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