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Marco Polo der Besessene 2

Marco Polo der Besessene 2

Titel: Marco Polo der Besessene 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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den er verdient. Da ich hier in der Gefangenschaft selbst nichts lernen konnte, konnte ich vielleicht den anderen etwas beibringen oder sie zumindest amüsieren. Als die langweiligen Unterhaltungen drohten, einfach unerträglich zu werden, kam es vor, daß ich zum Beispiel sagte:
    »Da wir gerade von Streifen sprechen, Messen, in den Champa-Landen gibt es ein Tier, Tiger genannt, das ist am ganzen Körper gestreift. Die Eingeborenen in Champa können einen Tiger aufgrund der Art und Weise, wie sein Gesicht gestreift ist, vom anderen unterscheiden. Sie nennen das Raubtier ›Herr Tiger‹ und sagen, ein aus den Augäpfeln eines Tieres hergestelltes Gebräu setze einen instand, jeden Tiger zu sichten, ehe er einen entdeckt. Und je nach der Zeichnung der Streifen auf seinem Gesicht kann man erkennen, ob es sich um einen Menschenfresser handelt oder um einen harmlosen Jäger niederer Tiere.«
    Oder wenn einer unserer Wärter uns die Zinnteller und kummen mit dem Abendessen brachte und das Essen genauso fade war wie gewöhnlich, wir ihn mit den gewöhnlichen spöttischen Bemerkungen begrüßten und er sich beschwerte, wir wären eine aufsässige Bande, und er wünsche, er hätte sich freiwillig zu anderem Dienst gemeldet, dann konnte es sein, daß ich ihm sagte:
    »Seid froh, Genueser, daß Ihr nicht in Indien Dienst tut. Als die Diener mir dort das Essen brachten, mußten sie den Speisesaal auf dem Bauche rutschend betreten und die Tabletts mit den Speisen darauf vor sich herschieben.«
    Anfangs begegneten meine unverlangten Beiträge zur allgemeinen Unterhaltung seltsam fragenden Blicken, so wenn zum Beispiel zwei stutzerhafte Herren sich in hochtrabenden Wendungen über die jeweiligen Reize und Tugenden ihrer Angebeteten daheim ergingen und ich erklärte :
    »Seid Ihr schon dahintergekommen, Messen, ob es sich bei Euren Liebchen um Winter-oder Sommerfrauen handelt?« Natürlich blickten sie mich daraufhin verständnislos an, so daß ich mich genötigt sah zu erklären: »Die Männer der Han sind der Meinung, daß eine Frau, deren intime Öffnung ungewöhnlich weit vorn an ihrer Artischocke sitzt, sich besonders für Winternächte eignet, weil man sich mit ihr sehr eng verschlingen muß, um in sie einzudringen. Eine Frau jedoch, deren Öffnung weiter hinten zwischen ihren Beinen liegt, eignet sich besser für den Sommer. Sie kann in einem kühlen und vom lauen Wind durchfächelten Lustpavillon auf dem Schoß des Geliebten sitzen, während er von hinten in sie eindringt.«
    Woraufhin die beiden eleganten Herren vielleicht entsetzt zurückfuhren, weniger geckenhafte Männer hingegen näher kamen und derlei Offenbarungen mehr hören wollten. So dauerte es nicht lange, und jedesmal, wenn ich den Mund aufmachte, hatte ich mehr Zuhörer als diejenigen, die sich über Ballsaalmanieren oder Nachschubprobleme im Seekrieg ergingen, und meine Zuhörer lauschten mir gebannt. Nicht nur meine venezianischen Landsleute umdrängten mich, wenn ich mein Garn spann, sondern auch die genuesischen Wärter und die Brüder der Gerechtigkeit, wenn sie gerade Besuch machten, aber auch Pisaner und Korsen und Paduaner, die den Genuesern in anderen Kriegen und Schlachten in die Hände gefallen waren. Und eines Tages sprach mich einer von ihnen an und sagte:
    »Messer Marco, ich bin Luigi Rustichello, ehedem Pisa…«
    Du stelltest dich als der Zunft der Schreibenden zugehörig vor, als fableor, ein romancier, und du batest mich um Erlaubnis, meine Geschichten in einem Buch niederzuschreiben. So setzten wir uns beide hin, und ich erzählte dir meine Geschichten, und durch Vermittlung der Bruderschaft der Gerechtigkeit konnte ich eine Bitte nach Venedig schicken, woraufhin mein Vater meine Sammlung von Aufzeichnungen, Notizen und Tagebüchern nach Genua schickte, die meiner Erinnerung auf die Sprünge halfen und mir erlaubten, mir vieles ins Gedächtnis zu rufen, das mir schon entfallen war. So verging unser Jahr der Gefangenschaft nicht in Langeweile, sondern geschäftig und produktiv. Und als der Krieg endlich vorüber war und ein neuer Friede zwischen Venedig und Genua unterzeichnet wurde und wir Gefangenen entlassen wurden und in die Heimat zurückkehren konnten, da konnte ich sagen, daß dieses Jahr keineswegs, wie ich befürchtet hatte, vertane Zeit gewesen war. Ja, vielleicht ist es sogar das fruchtbarste Jahr meines Lebens gewesen, in dem ich das eine vollbrachte, das geblieben ist und verspricht, länger zu bleiben als ich selbst. Ich

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