Marco Polo der Besessene 2
einen Unterschied gibt zwischen Yang-zho und Hang-zho? -, und ich sah nicht einmal darauf, daß mein Schreiber das in seinen Abschriften richtigstellte.
Eine der Kopien machte ich förmlich dem Dogen Gradenigo zum Geschenk, und dieser muß sie sofort unter seinen Ratsherren hat herumgehen lassen, diese wieder unter ihren Familien und sogar unter ihrer Dienerschaft. Eine weitere Kopie schenkte ich dem Priester unserer neuen Pfarrgemeinde San Zuàne Grisostomo, der sie wiederum unter dem Klerus und in der Gemeinde hat herumgehen lassen, denn es dauerte nicht lange, und ich war wieder berühmt. Mit noch größerer Begierde als gleich nach meiner Heimkehr aus Kithai suchten die Menschen meine Bekanntschaft zu machen, traten bei öffentlichen Veranstaltungen an mich heran, zeigten auf der Straße auf mich, auf dem Rialto, aus vorübergleitenden gondole heraus. Und deine eigenen Abschriften, Luigi, müssen aufgegangen sein wie Löwenzahnsamen, denn Kaufleute und Reisende aus allen möglichen Ländern, die nach Venedig kamen, sagten, sie kämen genausosehr, um einen Blick auf mich zu werfen wie auf die Basílica San Marco und die anderen bedeutenderen Sehenswürdigkeiten der Stadt. Empfing ich sie, erzählten viele mir, sie hätten die Weltbeschreibung in ihrem Heimatland gelesen, bereits übersetzt in ihre Muttersprache.
Wie ich schon sagte, Luigi, hat es uns kaum etwas genutzt, die vielen Dinge auszulassen, von denen wir meinten, sie seien zu haarsträubend, als daß man sie uns glauben würde. Einige von den Begeisterten, die danach trachteten, mich kennenzulernen, hofften einem Menschen zu begegnen, den sie zutreffend als weitgereisten Mann betrachteten; viele jedoch wollten jemand kennenlernen, den sie fälschlich als Un Grand romancier betrachteten, den Verfasser von phantasievollen und unterhaltsamen, ausgedachten Geschichten, und noch andere wollten offensichtlich einen Blick auf ein großes Lügenmaul werfen, genauso, wie sie herbeigeeilt kommen konnten, um zu sehen, wie ein bedeutender Verbrecher zwischen den Säulen auf der Piazzetta öffentlich aus gepeitscht wurde. Je mehr ich beteuerte, nichts als die Wahrheit gesagt zu haben, desto weniger schien man mir zu glauben und mit desto größerem Wohlwollen und desto größerer Nachsicht betrachtete man mich. Ich konnte mich kaum beklagen, die Augen aller auf mich zu ziehen, zumal diese Augen mich mit freundlicher Bewunderung betrachteten. Allerdings wäre es mir lieber gewesen, sie hätten mich als etwas anderes denn einen Märchenerzähler bewundert.
Ich habe vorhin gesagt, die neue Ca' Polo unserer Familie liege in der Corte Sabionera. Das tut sie selbstverständlich immer noch, und ich nehme an, daß selbst die neueste Straßenkarte von Venedig den offiziellen Namen als Schiffs-Ballast-Hof angibt. Nur nannte kein Venezianer ihn mehr so. Er hieß überall nur noch Corte del Milione -und das mir zu Ehren!-, denn mich nannte man jetzt Marco Milione, den Mann der Millionen Lügen, Hirngespinste und Übertreibungen. Ich war nicht nur berühmt, ich war notorisch berühmt.
Mit der Zeit lernte ich, mit meinem neuen und besonderen Ruf zu leben und nicht einmal mehr auf die Schar von Straßenlümmeln zu achten, die sich mir manchmal auf dem Weg von der Corte zur Compagnia oder zum Rialto an die Fersen hefteten. Sie fuchtelten mit Stockschwertern in der Luft herum, sprengten in einer Art Galopp einher, ließen dabei das eigene Hinterteil die Gerte spüren und riefen: »Herbei, herbei, große Fürsten!« und »Sonst holt dich die orda!« Ständig Gegenstand solcher Aufmerksamkeiten zu sein, war lästig, ermöglichte aber selbst Fremden, mich zu erkennen und manchmal in Augenblicken zu grüßen, da ich lieber unbekannt geblieben wäre. Doch zum Teil lag es wohl eben an dieser besonderen Aufmerksamkeit, die mir zuteil wurde, daß noch etwas geschah.
Ich weiß nicht mehr, wo ich an diesem bestimmten Tag genau war, doch stand ich auf der Straße plötzlich Auge in Auge dem kleinen Mädchen Doris gegenüber, meiner Gespielin aus Kindertagen, die damals wohl ziemlich verliebt in mich gewesen war. Wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre, hätte Doris fast so alt sein müssen wie ich, nämlich Anfang vierzig, und da sie der Unterschicht angehörte, eine graue und verrunzelte, abgerackerte marantega. Doch da stand sie vor mir, nur zu jungem Frauentum erblüht -Mitte zwanzig, älter nicht und anständig gekleidet, nicht in das formlose Schwarz alter Frauen von der
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