Marco Polo der Besessene 2
meine, unser Buch, Luigi, die Weltbeschreibung. Gewißlich habe ich in dem guten Dutzend Jahre, die vergangen sind, seit wir beide uns vor jenem Genueser Palazzo Lebewohl gesagt haben, nichts geleistet, das mir eine vergleichbare Befriedigung verschafft hätte.
Ja, so geht's, Luigi. Ich habe mein Leben noch einmal von der Kindheit bis zum Ende meiner Reisen erzählt. Wieder habe ich viele jener Geschichten erzählt, die du vor so langer Zeit gehört hast, und habe sie diesmal weit ausführlicher erzählt; auch habe ich manch andere wiedererzählt, von denen wir beide damals meinten, sie nicht in das frühere Buch aufnehmen zu können, und wie ich meine, noch viele andere Geschichten, die ich auch dir nie anvertraut hatte. Jetzt hast du meine Erlaubnis, irgendwelche oder alle von meinen Abenteuern zu nehmen, sie dem ausgedachten Helden deines letzten Buches zuzuschreiben und daraus zu machen, was du willst.
Es gibt nicht mehr viel von mir zu berichten, und wahrscheinlich wird nichts davon für deine neue Arbeit zu gebrauchen sein. Deshalb werde ich mich kurz fassen.
6
Bei meiner Rückkehr nach Venedig stellte ich fest, daß mein Vater und Marègna Lisa mit dem Bau unserer neuen Casa Polo schon weit gediehen waren -oder vielmehr: mit der Erneuerung eines alten Palazzo, den sie gekauft hatten. Dieser stand an der Corte Sabionera in einem weit eleganteren confino als unsere bisherige Wohnung. Der Palazzo lag auch näher am Rialto, wo jetzt, da ich anerkanntes Oberhaupt der Compagnia Polo war, traditionsgemäß von mir erwartet wurde, zweimal am Tag mit meinen Kollegen, den anderen Handelsherren, Umgang zu haben und mit ihnen zu plaudern, kurz vor der Mittagsstunde und jeden Abend, wenn der Arbeitstag beendet war. Das war und ist auch heute noch eine angenehme Gepflogenheit, und ich habe bei diesen Gelegenheiten schon häufig gerade jenes bißchen an Information aufgeschnappt, das mir bei normalem Gang der Geschäfte nie auf das Schreibpult gekommen wäre. Ich hatte nicht im mindesten etwas dawider, dort als Messere angeredet zu werden und daß man mir achtungsvoll zuhörte, wenn ich meine weise Meinung zu dieser Frage von Vorschriften oder Tarifen oder was auch immer von mir gab. Auch hatte ich nicht allzuviel dawider, jetzt an der Spitze der Compagnia Polo zu stehen, wiewohl ich diese herausragende Stellung so früh eher zufällig erlangte.
Sich richtig zu meinen Gunsten zurückgezogen hat mein Vater nie. Er kümmerte sich einfach von dieser Zeit an immer weniger um die Compagnia und wandte seine Aufmerksamkeit mehr anderen Interessen zu. Eine Zeitlang steckte er alle Kraft in die Beaufsichtigung des Umbaus, der Einrichtung und Ausschmückung der neuen Ca' Polo. Während der Bauzeit machte er mich verschiedentlich darauf auf merksam, daß dieser neue Palazzo geräumig genug war, viel mehr Menschen zu beherbergen als wir vorhatten, darin unterzubringen.
»Vergiß nicht, was der Doge gesagt hat, Marco«, erinnerte er mich. »Wenn es nach dir eine Compagnia Polo und ein Haus Polo geben soll, dann müssen Söhne her.«
»Vater, du solltest doch wissen, wie mir bei diesem Thema zumute ist. Dagegen, Vater zu werden, hätte ich nichts, aber das Mutterwerden hat mich mehr gekostet, als ich zählen kann.«
»Unsinn!« erklärte meine Stiefmutter streng, wurde dann jedoch weicher. »Ich möchte nicht verunglimpfen, was du verloren hast, Marco, und dennoch muß ich Protest anmelden. Als du diese tragische Geschichte erzähltest, sprachst du von einer zarten, fremden Frau. Venezianerinnen sind geboren und werden dazu erzogen, Kinder zu bekommen. Sie genießen es, ›bis zu den Ohren schwanger zu sein‹, wie der Volksmund sagt; jedenfalls empfinden sie es als deutlichen Makel, wenn sie es nicht sind. Nimm dir eine gute, breithüftige Venezianerin zur Frau, und alles andere überlaß ihr.«
»Oder«, sagte mein praktischer Vater, »such dir eine Frau, die du genug lieben kannst, um dir Kinder von ihr zu wünschen, aber eine, die du leicht genug lieben kannst, so daß ihr Verlust nicht unerträglich wäre.«
Als die Ca' Polo fertig war und wir eingezogen waren, wandte mein Vater seine Aufmerksamkeit einem womöglich noch neueren und ungewöhnlicheren Vorhaben zu. Er gründete etwas, das ich eine Schule für Kaufmanns-Abenteurer nennen würde. In Wirklichkeit hatte das Ganze nie einen Namen, und es war auch keine Akademie, an der man nach allen Regeln der Kunst studieren konnte. Mein Vater bot schlicht jedem, der Lust
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