Marco Polo der Besessene 2
ich ihr den Hof, wie es sich gehört, und zwar über eine sehr lange Zeit, so als wäre sie von blauestem Blut gewesen. Ihr Vater, der den Eindruck machte, aus seinen eigenen gegerbten Häuten zusammengesetzt zu sein, empfing mich herzlich und verlor kein Wort darüber, daß ich fast genauso alt war wie er. Schließlich bestand eine der anerkannten Möglichkeiten für eine Tochter der Mittelschicht, höher aufzusteigen, darin, eine vorteilhafte Mai-Dezember-Ehe einzugehen, für gewöhnlich mit einem Witwer mit zahlreichen Kindern. So gesehen war ich wirklich noch nicht älter als November und kam überdies auch nicht mit einem Stall von Stiefkindern. Infolgedessen murmelte Maistro Lorenzo nur ein paar jener Sätze, wie sie traditionellerweise von einem unbetuchten Vater einem wohlhabenden Freier seiner Tochter gegenüber ausgesprochen werden, um jeden Verdacht auszuräumen, er liefere die Tochter freiwillig dem diritto di signaría aus: »Ich muß zum Ausdruck bringen, daß ich zögere, Messere. Eine Tochter sollte nicht den Ehrgeiz haben, über den Stand hinauszustreben, in den sie hineingeboren wurde. So fügt sie der natürlichen Würde ihrer niedrigen Geburt nur noch das Risiko härterer Knechtschaft hinzu.«
»Ich bin es, der nach Höherem strebt, Messere«, versicherte ich ihm. »Ich kann nur hoffen, daß Eure Tochter sich meinen ehrgeizigen Wünschen geneigt zeigt. Ich verspreche, daß sie nie Grund haben wird, das zu bedauern.«
Ich brachte ihr Blumen und ab und zu ein kleines Geschenk, und so saß ich bei Donata, immer mit einer accompagnatrice einer von Fiordelisas strengen Mägden, die stets in der Nähe saß und darüber wachte, daß wir uns streng anständig benahmen. Das jedoch hinderte Donata nicht daran, genauso frank und frei zu mir zu sprechen, wie Doris es getan.
»Wenn Ihr meine Mutter in ihrer Jugend gekannt habt, Messer Marco, dann wißt Ihr, daß sie das Leben als armes Waisenkind begann. Sie gehörte buchstäblich dem niederen popolàzo an. Deshalb will ich, was sie betrifft, nicht vornehmtun. Als sie einen Gerber mit gutgehender Werkstatt heiratete, heiratete sie über ihrem Stand. Doch würde das nie jemand gemerkt haben, hätte sie daraus ein Geheimnis gemacht, was sie nicht getan hat. Sie hatte ihr Leben lang nie etwas Rohes oder Gewöhnliches getan. Sie war meinem Vater eine gute Frau und mir eine gute Mutter.«
»Dafür hätte ich die Hand ins Feuer gelegt«, sagte ich.
»Ich glaube, sie gereichte dem höheren Stand zur Ehre. Das sage ich Euch, Messer Marco, falls Ihr -ja, falls Ihr
irgendwelche Zweifel daran hegt, daß ich vielleicht nicht geeignet sein könnte, womöglich noch höher hinaus…«
»Liebste Donata, daran hege ich nicht den allergeringsten Zweifel. Selbst als Eure Mutter und ich noch Kinder waren, habe ich sehen können, was einmal aus ihr werden könnte. Aber ich will damit nicht sagen: Wie die Mutter, so die Tochter. Denn selbst wenn ich sie nie gekannt hätte, ich hätte rasch das Versprechen erkannt, das in Euch steckt. Soll ich wie ein unsterblich verliebter trovatore all Eure guten Eigenschaften laut hinaussingen? Schönheit, Klugheit, gute Laune…«
»Bitte, vergeßt nicht die Aufrichtigkeit«, unterbrach sie mich. »Denn ich möchte, daß Ihr alles erfahrt, was es zu erfahren gibt. Meine Mutter hat mir nie etwas davon gesagt, und ich würde es nie meinen guten Vater wissen lassen, daß ich es weiß, aber -es gibt Dinge, die erfahren Kinder einfach, oder zumindest ahnen sie sie, ohne daß man es ihnen sagt. Wohlgemerkt, Messer Marco, ich bewundere meine Mutter, daß sie sich so gut verheiratet hat. Vielleicht könnte das Wissen darum, wie sie das geschafft hat, meiner Bewunderung für sie Abbruch tun, und auch bei Euch wäre das möglich. Ich bin der unerschütterlichen Überzeugung, daß ihre Eheschließung ein wenig herbeigezwungen wurde, daß sie… wie soll ich's nur ausdrücken? -nun, daß sie das Ereignis ein wenig vorweggenommen haben. Ich fürchte, ein Vergleich zwischen den Daten, die unter ihrem consenso di matrimonio und meinem Geburtsschein stehen, könnte peinlich sein.«
Ich mußte lächeln, daß die junge Donata meinte, sie könne einen so abgehärteten und für Schläge unempfindlichen Mann wie mich schockieren. Noch gelassener lächelte ich über ihre unschuldige Schlichtheit. Sie mußte sich, dachte ich, völlig darüber im unklaren sein, daß sehr viele Ehen der Unterschicht nie feierlich durch Dokumente, Feste oder das Sakrament
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