Marco Polo der Besessene 2
Straße, und ebenso goldblond und frischen Gesichts und hübsch wie damals, als ich sie das letztemal gesehen hatte. Ich war mehr als überrascht -ich war wie vom Donner gerührt. Und vergaß sogar, was sich gehörte, indem ich mitten auf der Straße einfach mit ihrem Namen herausplatzte; zum Glück dachte ich jedenfalls daran, sie voller Hochachtung anzureden:
»Damìna Doris Tagiabue!«
Sie hätte ob meiner Zudringlichkeit beleidigt sein, die Röcke beiseite schwenken und an mir vorüberstolzieren können. Doch sie sah mein Gefolge von Straßenlümmeln Mongolen spielen,
mußte fast lächeln und sagte nicht unfreundlich:
»Ihr seid Messer Marco von den - ich meine -«
»Marco von den Millionen. Sagt es nur, Doris. Alle sagen sie es doch. Und du hast schon Schlimmeres zu mir gesagt. Marcolfo und so.«
»Messere, ich fürchte, Ihr verwechselt mich. Ihr habt wohl einst meine Mutter gekannt, deren Mädchenname Doris Tagiabue war.«
»Eure Mutter!« Für einen Moment vergaß ich, daß Doris inzwischen eine Matrone, wo nicht gar ein altes Weib sein mußte. Doch da dieses Mädchen genauso aussah wie die Erinnerung, die ich in mir trug, konnte ich mir nichts andres vorstellen als die kleine, wilde, ungezähmte zuzzurrullona, die ich gekannt hatte. »Aber sie war doch erst ein Kind.«
»Aus Kindern werden Leute, Messere«, sagte sie, um dann schelmisch noch hinzuzusetzen: »Selbst aus Euren einmal«, und zeigte auf mein Halbdutzend Möchtegernmongolen.
»Das sind nicht meine. Trommelt zum Rückzug, Männer!« rief ich ihnen zu, woraufhin sie unter viel Aufgebäume und Herumfahren die Rösser ihrer Phantasie sich auf einige Entfernung zurückziehen ließen.
»Ich habe ja nur Spaß gemacht, Messere«, sagte die so vertraute Fremde, lächelte mich offen an und glich damit noch mehr dem lustigen Kobold meiner Erinnerung. »Zu den Dingen, die in Venedig allbekannt sind, gehört, daß Messer Marco Polo immer noch Junggeselle ist. Ich bin ihre Tochter und heiße Donata.«
»Ein hübscher Name für eine hübsche junge Dame: die Gegebene, das Geschenk!«. Ich verneigte mich, als wären wir einander förmlich vorgestellt worden: »Dona Donata, ich wäre Euch sehr verbunden, wenn Ihr mir sagtet, wo Eure Mutter jetzt lebt. Ich möchte sie gern wiedersehen. Wir waren einst -gute Freunde.«
»Almèi, Messere. Da muß ich Euch leider sagen, daß sie vor ein paar Jahren an einer influenza di febbre gestorben ist.«
»Gramo mi! Das zu hören, tut mir leid. Sie war ein lieber Mensch. Mein Beileid, Dona Donata.«
»Damina, Messere«, berichtigte sie mich. »Meine Mutter war Dona Doris Loredano. Ich bin wie Ihr unverheiratet.«
Schon wollte ich etwas unerhört Verwegenes sagen, doch zögerte ich und sagte statt dessen: »Irgendwie tut es mir nicht leid, daß Ihr unverheiratet seid.«
Sie setzte ein leicht verwundertes Gesicht auf ob meiner Kühnheit, war aber nicht entsetzt, und so fuhr ich fort: »Damina Donata Loredano, wenn ich Eurem Vater annehmbare sensàli schickte, meint Ihr, er ließe sich bewegen, mir zu gestatten, Euch in Eurer Wohnung einen Besuch abzustatten? Wir könnten uns über Eure verstorbene Mutter unterhalten… von alten Zeiten reden.«
»Der berühmte und hochangesehene Messer Marco Polo ist gewiß überall willkommen. Wenn Euie sensàli sich an den Maistro Lorenzo Loredano in seiner Werkstatt an der Mercería wenden wollen…«
Sensàli kann ebenso sehr Geschäftsmakler wie Ehevermittler bedeuten, und letzteren schickte ich in der Gestalt meiner gesetzten und adretten Stiefmutter, die mit ein oder zwei ihrer mächtigen Mägde anrückte. Marègna Lisa kehrte von dieser Mission mit dem Bescheid zurück, der Maistro Loredano habe äußerst freundlich auf meine Bitte reagiert, mir zu erlauben, eine Reihe von Besuchen zu machen. Unter merklichem In-dieHöhe-Schieben ihrer Augenbrauen setzte sie noch hinzu:
»Er stellt Lederwaren her. Offenbar ein braver, angesehener und schwer arbeitender Gerber. Aber, Marco, auch nicht mehr als ein Gerber. Morel di mezo. Du könntest Töchtern von Familien der sangue blo den Hof machen. Der Dándolo, der Balbi, der Candiani…«
»Dona Lisa, ich hatte mal eine Nena Zulià, die sich gleichfalls über meinen Geschmack und meine Vorlieben beschwerte. Schon in meiner Jugend war ich anders als andere und zog eine wohlschmeckende morel -Morchel -einer mit edlem Namen vor.«
Gleichwohl stürzte ich mich nicht auf die Familie Loredano und entführte ihr Donata. Vielmehr machte
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