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Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition)

Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition)

Titel: Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Espinosa
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Zahlen.
    Die vierzehn Punkte lagen in meiner Hand.
    Ich holte tief Luft, aktivierte meine Gabe, so stark ich konnte, und öffnete die Tür.

9
    Roter Regen auf die Kindheit

I ch dachte, ich würde hinter der Tür auf ein schleimiges Wesen stoßen. Das war meine Vorstellung von Fremdlingen aus anderen Welten. Keine Ahnung, warum, aber ich hatte immer etwas Schleimiges vor Augen gehabt.
    Zögernd machte ich die Tür auf. Und da saß er, allein mitten im Verhörraum. Er sah nicht zu mir, sondern auf den Boden, aber er war alles andere als schleimig. Tatsächlich sah er sogar ziemlich »menschlich« aus, was man darunter eben so versteht. Ich schätzte ihn auf zirka vierzehn.
    Er hatte eine ungemeine Ähnlichkeit mit Alain Delon in dem Film Nur die Sonne war Zeuge . Verblüffend gut aussehend und vor Energie strotzend. Obwohl sein Blick den Boden fixierte, erahnte man seine großen Augen, und sein Haar wirkte glänzend und seidig.
    Er blieb stumm, sah nicht auf. Ich setzte mich ihm gegenüber. Uns trennte ein kleiner quadratischer weißer Tisch voller Kritzeleien von Häftlingen, die man kurz allein gelassen hatte. Ich las Sätze wie: Ich bin unschuldig … Ich sollte nicht hier sein … Man hat meine Rechte missachtet.
    Sein Blick war weiter auf den Boden gerichtet. Er machte den Eindruck eines schüchternen Jugendlichen.
    Seine Kleidung stammte von der Institution, die ihn aufgenommen hatte, und erinnerte an diese blauen Krankenhausanzüge. Der weit ausgeschnittene Kragen entblößte seine Haut, eine ganz normale Haut. Ganz und gar nicht schleimig.
    Ich begrüßte ihn: »Hallo.« Er antwortete nicht. Entweder hatte er meine Gegenwart gar nicht wahrgenommen, oder sie interessierte ihn nicht im Geringsten.
    Er wirkte wirklich nicht wie ein Fremdling, er war ja noch ein halbes Kind.
    Ich suchte seinen Blick, um herauszufinden, was ich herausfinden sollte, doch im selben Augenblick merkte ich, dass meine Gabe nicht funktionierte. Sie hatten nicht auf mich gehört, die Kameras und Abhörgeräte liefen weiter.
    Ich machte ein Zeichen in Richtung des Spiegels an einer Seite des Raums und deutete auf alle Kameras, die meine Gabe blockierten. Während ich kurz wartete, kreuzte der Fremdling die Beine. Seine Gleichgültigkeit machte mich langsam nervös.
    Ich spürte, dass die elektronischen Apparate nacheinander abgestellt wurden, und merkte, wie meine Gabe immer stärker wurde. Das sonderbare Vergnügen ergriff Besitz von mir. Es war, als würde ich eine warme, angenehme Farbe empfinden.
    Als das letzte Abhörgerät abgeschaltet war, waren wir allein. Sie beobachteten uns zwar durch den Spiegel, aber sie konnten nicht hören, was wir sprachen, konnten nicht einmal unsere Gesichter näher heranzoomen.
    Der Fremdling und ich saßen uns gegenüber. Ich fühlte mich mächtig.
    »Gestern ist deine Mutter gestorben, stimmt’s?«, fragte der Fremdling, ohne auch nur den Blick zu heben.
    Mein Herz und meine Speiseröhre zogen sich zusammen. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Da saß ich mit meinen abschussbereiten Raketen und wurde von einer Atombombe mitten ins Zentrum getroffen. Wie konnte er das wissen?
    Ich ließ mir Zeit, ich wollte keinen nervösen Eindruck machen. Wieder suchte ich seinen Blick, doch er hielt ihn nach wie vor gesenkt, als hätte er mich gerade nach der Uhrzeit oder dem morgigen Wetter gefragt.
    Ich beschloss, ganz ruhig zu bleiben, nicht den Kopf zu verlieren.
    »Du hast Angst«, fuhr er fort. »Du hast das Gefühl, dein Leben hat ohne deine Mutter keinen Sinn mehr. Du vermisst sie, ihr seid viel zusammen in verschiedene Länder gereist. Sie und du, immer sie und du. Und das muss sehr weh tun … Es ist der schlimmste Moment deines Lebens, nicht?«
    Dann sah er auf. Plötzlich begriff ich: Dieser Fremdling besaß meine Gabe. Zum ersten Mal verstand ich, wie sich die Menschen fühlten, die ich ganz unbefangen durchleuchtete.
    Eine schreckliche Angst musste sich auf meinem Gesicht abzeichnen, denn nun hallte die Stimme meines Chefs durch den Raum.
    »Alles gut, Marcos? Brauchst du Hilfe?« Seine Stimme klang drohend.
    »Alles in Ordnung.« Ich fasste mich. »Stellt bitte die Abhöranlage wieder aus.«
    Sie schalteten erneut alle Elektronik ab. Der Fremdling wartete ein paar Sekunden, dann sprach er weiter.
    »War sie eine so gute Mutter, wie es mir vorkommt?«, fragte er. »Acht deiner zwölf Erinnerungen sind mit ihr verbunden.«
    Ich antwortete nicht. Ich versuchte, ihn zu durchdringen, wieder ins

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