Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition)
Gleichgewicht zu kommen. Doch irgendetwas hinderte mich daran, und das waren keine elektronischen Interferenzen.
Er lächelte.
»Hast du heute ein Mädchen kennengelernt? Es war ein sehr schönes Gefühl, oder? Du solltest zu ihr gehen, bevor das Theater zu Ende ist. Du hast keine Vorstellung, wie wichtig sie in deinem Leben sein wird. Im Ernst, geh jetzt sofort, und sieh dir den Handlungsreisenden an. Der größte Glücksmoment in deinem Leben ist allerdings …«
»Hör auf!«, schrie ich.
Ich weiß selbst nicht, warum mir dieser Schrei entschlüpft ist, warum ich nicht wollte, dass er weitermachte. Doch da war etwas an dieser illegalen Durchleuchtung meiner Gefühle, was mich rebellieren ließ. Ich musste um jeden Preis verhindern, dass er mir erzählte, was der schönste Moment meines Lebens gewesen war, ich wollte es nicht wissen. Ich hatte immer zwischen zwei oder drei Momenten geschwankt, die ich als die besten und glücklichsten bezeichnen könnte. Und das sollte für den Rest meines Lebens so bleiben.
Es war entsetzlich, eine Liste der eigenen Gefühle und Leidenschaften aufgestellt zu bekommen. Nie hätte ich das gedacht.
Nach einigem Zögern fragte ich ihn schließlich:
»Wer bist du?«
Er sah mich an, griff nach dem Glas Wasser, das auf seiner Seite des Tisches stand, und trank langsam daraus.
»Solltest nicht du das beantworten?«
»Schon, aber …«
»Du hast eine Blockade, stimmt’s?« Er lächelte zum zweiten Mal. Ich mochte dieses zweite Lächeln nicht. Ich beschloss, meine Gabe auf Hochtouren zu bringen. Ich konzentrierte mich so stark wie noch nie. Doch ich konnte nichts sehen, es war, als ob er mich daran hinderte.
»Kommst du von außerhalb?«, fragte ich naiv.
Er lachte. Sein Lachen war lustig und unverfälscht, schwer vorstellbar für einen Fremdling von einem anderen Planeten.
»Haben deine Vorgesetzten dir nichts gesagt?«
»Nein.«
»Soll ich es dir erzählen?«, fragte er.
»Wenn es dir nichts ausmacht …«
Er beugte sich vor, so weit er konnte. Ich merkte, dass seine Hände unter dem Tisch mit Handschellen gefesselt waren. Er kam mir noch ein wenig näher und wisperte:
»Ich weiß, dass deine Mutter diese Art von Kommunikation mochte.« Er wisperte weiter, doch seine Stimme bekam plötzlich einen schmerzlichen Unterton: »Hilf mir, ich muss hier sofort raus.«
Ich bekam eine Gänsehaut bei diesen Worten. Wer war dieser Fremdling, der so viel von mir wusste und mich jetzt so dringend brauchte? Mir brach der Schweiß aus.
»Es tut mir leid, aber ich kann nichts tun«, antwortete ich, ohne nachzudenken.
»Du kannst nicht oder du willst nicht?«, fragte er.
Ich schluckte, etwas an ihm flößte mir Angst ein.
»Wolltest du mir nicht erzählen, wer du bist?«, erinnerte ich ihn.
»Erst musst du mich hier rausholen.« Jetzt hörte er sich doch verängstigt an.
»Sie werden dir nichts tun«, sagte ich. »Sag schon, wer bist du?«
»Sie haben mir schon alles Mögliche getan.«
Er verstummte jäh. Langsam sah ich ein Bild vor mir aufsteigen. Weil er es zuließ. Er hatte beschlossen, sich in Bildern statt in Worten zu zeigen.
Ich wusste nicht, was für eine Erinnerung es war, da sie sich nicht auf die übliche Weise einstellte. Es konnte ebenso gut ein Extrem wie eine der zwölf Emotionen sein.
Es nahm Form an …
Und es war ein glückliches Bild.
Ein lachender Junge, der mit seinem Vater Fußball spielte. Der Junge sah dem Fremdling sehr ähnlich. Er war es als Kind. Er wirkte grenzenlos glücklich, bis es plötzlich zu regnen begann und Vater und Sohn sich unter einem Baum unterstellten.
Es war ein Bild, wie ich es bei Hunderten von Menschen gesehen hatte. Glücksmomente zwischen Vater und Sohn. Etwas, was ich selbst nie erlebt habe, was aber immer Teil der zwölf wichtigsten Emotionen ist, die die Menschen in sich tragen.
Doch da nahm ich etwas Sonderbares in den Bildern wahr, die ich empfing. Der Regen war kein normaler Regen. Er war rot.
Ein roter Regen. Doch weder Vater noch Sohn schien das zu stören. Sie sahen weiter in den Abendhimmel, und da erkannte ich plötzlich, dass dort kein Mond stand, sondern ein fünfeckiger Planet leuchtete.
Der Regen hörte nicht auf, sein Rot wurde immer leuchtender. Ja, es war eine glückliche Erinnerung, doch es war nicht dieses Gefühl, das der Fremdling mir zeigen wollte, sondern die Umgebung, in der es sich eingestellt hatte. Und ich schwöre euch, dass dieser Ort nicht auf der Erde war. Keine Ahnung, wo er sich
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