Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition)
meinen von Zeit zu Zeit unabsichtlich streifte.
Es war eine angenehme Erfahrung, um nicht zu sagen die angenehmste meines ganzen Lebens.
Jahre später begann ich, nach jedem beendeten Bild ein Werkabschlussbad zu nehmen, um mir die Farbflecken vom Körper zu waschen. Und ich schwöre, dass allein das Geräusch des einlaufenden Wassers meine Speiseröhre zum Vibrieren brachte. Dieses Rauschen war und wird immer etwas Glückbringendes für mich sein.
Zu zweit habe ich allerdings nie mehr gebadet. Dem Mädchen auf Capri, das mich nach dem Tod meiner Großmutter getröstet hat, hätte ich es beinahe vorgeschlagen, aber dann traute ich mich doch nicht.
Ich weiß nicht, warum, doch es erzeugt eine gewisse Nähe, mit einem anderen Menschen eine Stunde gemeinsam in der Badewanne zu liegen. Als würde das Wasser Geheimnisse übermitteln, Ängste verraten, als würde einem durch die leichte Berührung der Haut des anderen seine tiefste Essenz zugetragen.
»Erzähl mir alles, bitte. Mach dir keine Gedanken darüber, was ich denken könnte«, sagte das Mädchen vom Theater.
Ich wusste, dass sie mir glaubte. Zwischen uns herrschte ein immenses Vertrauen, seit wir zusammen das Ende von Tod eines Handlungsreisenden gesehen hatten. Also legte ich los. In den anderthalb Stunden Fahrt erzählte ich ihr alles. Ich warf ihr die Worte entgegen wie David Bowie in Modern Love , ließ Sätze unvollendet, übersprang Details, doch alles Entscheidende erfuhr sie.
Auf der Strecke Madrid –Ávila erzählte ich ihr von dem Fremdling, meiner Gabe, dem roten Regen, dem fünfeckigen Planeten und wie ich sie auf der Plaza Santa Ana gesehen hatte. Von Ávila bis Salamanca ging es um meine Mutter, ihren Tod, meinen Entschluss, mit dem Schlafen aufzuhören, meine Ängste, meine Einsamkeit, das Malen, das ungemalte Bild über den Sex und den Koffer. Während meines ganzen Monologs sagte sie kein Wort, kein einziges Wort. Und es war wundervoll, ihr alles zu erzählen. Nun ja, vielleicht nicht alles, denn wie sehr sie mich faszinierte, gestand ich ihr nicht ein. In der Liebe bewegte ich mich auf unsicherem Terrain. Bisher hatte ich nie irgendwelche Gefühle bekennen müssen, und nun, da sie vorhanden waren, wusste ich nicht recht, wie ich es angehen sollte. Es war etwas äußerst Explosives.
Von allem anderen berichtete ich ihr so getreu wie nur möglich. Sie war der sechste Mensch, dem ich von meiner Gabe erzählte. Das hatte ich bisher nur gegenüber meiner Mutter, meinem Chef, Dani, dem Mädchen auf Capri und meinem mutmaßlichen Vater getan.
Sie sagte ebenso wenig zu meiner Gabe wie zu dem Fremdling. Noch nie hatte ich mich jemandem so weit geöffnet. Ich hatte Angst vor ihrer Reaktion.
Der Wagen fuhr gerade in die Gassen um die Plaza Mayor von Salamanca, als ich zur Flucht des Fremdlings kam.
Und da sah ich ihn. Er stand mitten auf dem Platz, eine Kapuze über dem Kopf, wahrscheinlich, damit niemand den angeblichen Päderasten in ihm erkannte.
Wir stiegen aus und gingen auf ihn zu.
»Glaubst du mir?«, fragte ich.
»Ja«, sagte sie.
Ich wusste, dass sie mir wirklich glaubte. Und es fühlte sich gut an. Es ist sehr wohltuend, für die Wahrheit belohnt zu werden. Und ich freute mich, dass es da kein »aber« gab. Kein »Ich glaube dir, aber«, »Schon, aber« …, das alles Vorangegangene aufhob.
Als wir noch etwa fünfzig Schritte von dem Fremdling entfernt waren, blickte er auf und lächelte uns entgegen.
Ich freute mich, dass er unsere Ankunft gespürt hatte. Außerdem merkte ich, dass er exakt in der Mitte des Platzes stand. Ein weiterer Platz, ein weiterer faszinierender Mensch, der in seinem Zentrum wartet.
17
Sei mutig. Im Leben, in der Liebe
und beim Sex
D er Fremdling umarmte mich, als wir ihn erreichten. Er roch zart wie ein Baby. Ich fragte mich, ob es ein Duft war oder der Geruch seiner Haut. Viele Körper verströmen ein natürliches Parfum. Das erste Mädchen, mit dem ich mich traf, eine Rettungsschwimmerin in einem Hotelschwimmbad in Montreal, roch immer nach Chlor. Wir unterhielten uns ganze Nachmittage, wenn ich in der Oase dieses Schwimmbads Zuflucht vor der Kälte und dem riesigen Untergrundnetz der Stadt suchte. Draußen waren es 24 ° unter null. Die wenigen Male, die ich mich auf die Straße hinauswagte, froren meine Wimpern zusammen, wenn ich die Augen länger als zehn Sekunden geschlossen hielt. Deshalb verbrachte ich all meine Zeit im Schwimmbad, während meine Mutter in einem nahe gelegenen unterirdischen
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