Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition)
Theater ihre Kreation schuf.
Die Rettungsschwimmerin redete und redete, und ich hörte ihr verzaubert zu.
Als wir uns das erste Mal außerhalb ihres Reiches trafen, roch sie nicht nach Schwimmbad, sondern nach einer Mischung aus Grapefruit und Safran.
Wir taten es. Es war mein erstes Mal, und seither begleitet mich dieser Duft.
Ich rieche nach nichts. Wenn ich an jemand anderem eine Tugend entdecke, die mir abgeht, kommt es mir vor, als rieche er gut. Ich suche herauszufinden, welches Parfum er benutzt, und verwende es einige Monate selbst. Ich habe schon viele Parfums durchprobiert. Alle sechs Monate wechsele ich den Duft. Als würde es meine Mängel übertünchen, wie ein anderer zu riechen.
Ich hätte den Fremdling gern gefragt, wonach er roch, um eine Zeitlang seinen Duft zu tragen, doch es war weder der Ort noch der Moment dafür.
»Weiß sie Bescheid?«, fragte der Fremdling und reichte dem Mädchen vom Theater die Hand. Ich nickte.
»Hat dir das Stück gefallen?«, fragte er.
Sie nickte lächelnd.
Die Glocken der Plaza Mayor schlugen. Es war sieben Uhr morgens. Der Fremdling drehte sich einmal um sich selbst, als halte er nach jemandem Ausschau. Ich ließ ebenfalls den Blick über den Platz schweifen, auf dem ich seit Jahren nicht gewesen war. Er war wunderschön, zweifellos einer der schönsten Plätze überhaupt. Meine Mutter liebte ihn auch. »Es ist ein mutiger Platz«, sagte sie einmal nach einer weiteren Premiere und einem weiteren Erfolg, den sie für sich verzeichnen konnte.
»Mutig?«, fragte ich. »Gibt es mutige Plätze?«
»Es gibt sie, und dieser ist es, weil er dazu ermuntert, mutig zu sein.«
Sie nahm meine Hand, legte sie auf ihren Bauchnabel und gab mir einen Kuss in den Nacken. Das überraschte mich.
»Sei mutig«, sagte sie. »Im Leben, in der Liebe und beim Sex. Die Menschen vergessen, dass sie Liebkosungen und Küsse einfordern müssen. Und glaube nie, das sei allein deinem derzeitigen Partner vorbehalten. Man darf nichts verurteilen, was mit Sex zu tun hat; ich wünsche dir, dass du das verstehen lernst. Es ist ja nicht so, dass eine Liebkosung, ein Kuss, die Wärme einer Hand auf dem Bauchnabel zwangsläufig zum Liebesakt führen muss. Eine Umarmung sollte man nicht nur zehn oder meinetwegen dreißig Sekunden andauern lassen, sondern acht Minuten, wenn es nötig ist. Einen Körper zu streicheln hat nicht immer mit Sex zu tun. Man muss die Zärtlichkeit zu einem Teil des Lebens machen, darf sich nicht schuldig fühlen, wenn sie sich ergibt. So wie man über einen Witz lacht und das Glücksgefühl akzeptiert, das das Lachen hervorruft, so darf man auch keine Angst davor haben, jemandem zu sagen, dass seine Haut, seine Augen, sein Mund bestimmte Gefühle wachrufen. Man darf nichts verurteilen, was aus diesen Gefühlen hervorgeht, man muss es ins Leben, in den Alltag aufnehmen und nicht so sehr mit dem Sex als mit dem Leben selbst in Verbindung bringen. Verstehst du das, Marcos?«
Sie ließ ihre Hand noch eine Weile auf meinem Bauchnabel liegen. Ich spürte den Mut des Platzes in mir und küsste sie auf den Hals. Und was ich fühlte, war nicht Sex, sondern das Leben. Dann fragte ich sie:
»Wer ist mein Vater?«
Sie erwähnte ihn nie, er war ihre Achillesferse. Ich glaube, meine Frage machte sie traurig.
Der Fremdling steuerte auf eine Bank zu, die unweit von uns stand. Eine einzige Bank. Er setzte sich und forderte uns auf, es ihm nachzutun.
»Wollt ihr wissen, wer ich bin?«, fragte er.
Wir nickten beide. Bald würde der Tag anbrechen. Bald, sehr bald. Der Platz leerte sich, um diese Uhrzeit findet ein erneuter Schichtwechsel statt.
Ich war nervös. Auf diesem Platz hatte ich mich durch meine Mutter einmal ganz besonders gefühlt, und ich wusste, dass diese Unterhaltung mit dem Fremdling mein Leben verändern würde. Außerdem war da das Mädchen vom Theater, das all meine Geheimnisse kannte. Ich wusste nicht, was sie für mich oder ich für sie empfand, aber ihre Anwesenheit machte mich glücklich.
Und dann trug ich den Koffer meiner Mutter und eine weiße Leinwand bei mir. Ich hatte das Gefühl, verschiedene Teile meines Lebens fügten sich langsam zu einem Ganzen zusammen.
Der Fremdling ergriff das Wort. Ich erkannte, dass dies der Augenblick war, auf den ich gewartet hatte, seit ich ihm begegnet war.
»Ich weiß, was ich euch erzählen werde, klingt vielleicht seltsam, und ich werde euch so gut wie keinen Beweis dafür liefern können, doch es ist wirklich wahr«,
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