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Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition)

Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition)

Titel: Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Espinosa
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sagen sollte. Der Fremdling war frei und wollte mich sehen. Mir war klar, dass ich meinem Chef etliche Fragen stellen sollte, über die Flucht, warum der Fremdling ausgerechnet nach Salamanca musste und warum er mit mir reden wollte. Aber dazu kam ich gar nicht, mein Chef hatte schon wieder aufgelegt.
    Ich tat so, als telefonierte ich noch weiter. Sie sollte nicht gehen. Ich sagte unsinnige »Ja« und »Nein« und »Aha« in den Apparat. Als ich merkte, dass sie trotz allem aufstehen würde, schloss ich das Ganze mit einem »Perfekt, ich werde dort sein« ab und legte auf. Sie erhob sich. Da wurde mir klar, dass ich im Begriff war, sie zu verlieren, und so setzte ich alles auf eine Karte.
    »Willst du mit mir mitkommen?«
    Sie sah mich abwartend an.
    »Als du mir gesagt hast, du wolltest nicht, dass man dich allein aus Tod eines Handlungsreisenden kommen sieht, habe ich dir geglaubt. Und jetzt habe ich eine mindestens ebenso ungewöhnliche Bitte an dich: Begleite mich nach Salamanca, ich soll dort jemanden treffen, dem ich auch nicht allein gegenübertreten möchte.«
    Sie sagte nichts. Mehr Argumente fielen mir nicht ein.
    »Ich verspreche dir, dass es keine Falle oder sonst etwas Unsittliches ist. Vertrau mir.«
    Sie lächelte.
    »Kennen wir uns?«, fragte sie beinahe unhörbar leise.
    »Soweit ich weiß, nein«, sagte ich.
    »Ich habe das Gefühl, ich habe dich schon mal gesehen. Du siehst aus wie jemand …«
    Sie suchte einige Sekunden nach dem richtigen Wort. Ich kam ihr nicht zu Hilfe.
    »… dem man vertrauen kann. Ich vertraue dir.«
    Jetzt musste ich lächeln. Wir standen beide auf. Ich machte dem Kellner, der uns die ganze Zeit über beobachtet hatte, ein Zeichen, den Kaffee anzuschreiben, und wir gingen zu der Straßenecke, an der der Peruaner parkte. Ich ließ mich von dem Blitzen seiner Goldzähne leiten.
    Den Koffer musste ich natürlich mitnehmen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, den Griff zu umfassen. Meine Mutter hatte ihn mich nie tragen lassen. Sie sagte, an dem Tag, an dem sie nicht mehr in der Lage wäre, ihren eigenen Koffer zu tragen, würde sie aufhören zu reisen.
    Jetzt gehörte ihr Koffer mir. Es war ein mieser Zug vom Schicksal, dass ich ihn jetzt tragen durfte. Ein unerträglicher Schmerz durchfuhr mich, doch ich ließ mir vor dem Mädchen aus dem Theater nichts anmerken.
    Auf dem Weg zum Auto sah ich, dass im Fernsehen Fotos des Fremdlings gezeigt wurden, ohne ihn allerdings mit der Nachricht über den Außerirdischen in Verbindung zu bringen. Stattdessen stand unter den Fotos: »Päderast gesucht.« Danach wurden die Fotos gezeigt, die ich in der »Annex« titulierten Mappe des Sicherheitschefs gesehen hatte, nur war dessen Gesicht darauf durch das des Fremdlings ersetzt worden. Die plumpe Fotomontage war ekelhaft. Sie wollten ihn um jeden Preis finden und manipulierten die Leute, indem sie ihnen Abscheu vor jemandem einflößten, der gar nichts mit den widerlichen Verbrechen zu tun hatte, die in Wirklichkeit sein Verfolger begangen hatte. Armer Fremdling, kaum war er auf der Erde, sah er sich solch ungerechten Beschuldigungen ausgesetzt.
    Doch auch dazu bemerkte ich nichts. Wir stiegen ins Auto. Der Peruaner begrüßte das Mädchen wie eine alte Bekannte.
    »Wir fahren nach Salamanca«, sagte ich zu ihm.
    »Ich weiß«, antwortete er und stellte meine Musik an.
    Der Wagen fuhr los, zwischen dem Mädchen und mir lag der Koffer. Meine Mutter war unübersehbar präsent.

16
    Die Kunst, ein gutes Bad zu bereiten,
und der Mut, es zu genießen

S eit Jahren war ich nicht mehr in Salamanca gewesen. Das letzte Mal mit zwölf, als meine Mutter an einem Festival in einem Park teilgenommen hatte. Sie mochte Aufführungen unter freiem Himmel, das Publikum war entspannter, die Tänzer fühlten sich wohl, und Sterne, Mond und frische Luft verliehen den oft doch eher mittelmäßigen Aufführungen Leben. Manchmal mischte sie sich sogar unter die Zuschauer und beobachtete, wie ihr Nachbar zur Linken der Musik lauschte und gleichzeitig in den Sternenhimmel blickte und wie der zur Rechten den Bewegungen der Tänzer folgte, zugleich aber hingerissen die nächtlichen, mit zahllosen Sonnencremes vermischten Düfte schnupperte. All das mache so eine Aufführung aus, sagte meine Mutter.
    Es war ein heißer Sommer, in dem sie mit ihrer Truppe auf der Plaza Mayor von Salamanca auftrat. Ort, Publikum und Klima waren so wunderbar, dass meine Mutter die Atmosphäre als beinahe unlauteren Wettbewerb

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