Mareks Todfeind
meint ihr denn dazu?«
Eine derartig schwerwiegende Entscheidung zu treffen, waren die Leute nicht gewohnt, und deshalb wichen sie den Blicken des Mannes auch aus.
»Gut, dann werde ich es in die Hand nehmen.« Er wandte sich an Marek. »Was Sie da Vorhaben, ist nicht nur ein Frevel, sondern schon ein Verbrechen. So jedenfalls sehe ich es. Ich kann eigentlich nicht zustimmen, aber ich tue es trotzdem, auch wenn ich mich schuldig mache. Wir kennen Sie nicht, aber...«
»Mein Name ist Frantisek Marek!«
Es wurde wieder still. Allerdings nur kurz. Dann sagte jemand mit halblauter Stimme. »Sie sind der Pfähler, nicht?«
»Ja, so nennt man mich.«
»Der Mann, der Vampire jagt.«
Diese Bemerkung war für die meisten Trauergäste nicht so einfach zu verkraften. Ihre Münder blieben geschlossen. Aber es war zu sehen, wie sich auf ihrer Haut eine zweite ausbreitete, denn der Glaube an Vampire steckte von altersher noch zu tief in ihnen.
Wieder wurden Kreuzzeichen geschlagen, und auch der Bürgermeister war blass geworden.
»Soll Vargas ein Vampir sein?«, fragte er.
Marek wollte noch nicht mit der Wahrheit herausrücken und sagte deshalb: »Ich weiß es nicht, aber ich möchte mich gern davon überzeugen, dass er es nicht ist.«
»Denkt daran, dass man ihn den Pfähler nennt!«, rief jemand.
Genau diese Bemerkung gab den Ausschlag beim Bürgermeister. Er nickte den Trägern zu und sagte, wobei seine Stimme recht unsicher klang: »Öffnet den Sarg!«
Sie nickten. Dass ihnen nicht wohl zumute war, sah man ihnen an. Es war ein Job, den sie nicht gern taten, aber es blieb ihnen nichts anderes übrig.
Sie bückten sich gemeinsam. Und sie machten sich auch gemeinsam an den Verschlüssen zu schaffen.
»Fertig?«
»Ja.«
»Dann hoch damit!«
Der Bürgermeister trat näher an das Ziel heran und machte einen krummen Hals, um alles mitzubekommen.
Der Deckel schwappte hoch, wurde zur Seite gelegt. Der Blick in den Sarg war frei.
Dort lag jemand.
Es war jedoch nicht Vargas, sondern der Mann, der Marek hatte aufhalten wollen, bevor er die Leichenhalle betreten hatte...
***
Es schrie niemand. Das Entsetzen hatte zumindest die Menschen still gemacht, die den Sarg umstanden. Der Bürgermeister und die vier Träger begannen zu zittern. Sie glotzten in den Sarg und erinnerten dabei an hilflose Kinder.
Marek unterbrach das Schweigen. »Vargas ist das nicht!«, sprach er so laut, dass ihn alle hören konnten. »Kommt her und schaut ihn euch an. Dann werdet ihr sehen, dass ich Recht habe.«
Der Bürgermeister war dagegen. »Nein, bleibt wo ihr seid. Marek hat Recht. Es ist nicht Vargas.«
»Aber wer ist es dann?«, rief jemand.
»Ludovic.«
»Der Totengräber?«
»Genau der.«
Nach dieser Antwort herrschte das große Schweigen. Kaum einer bewegte sich. Der Bürgermeister allerdings beugte sich vor und schaute in den Sarg hinein, als wollte er prüfen, ob dieser Mann tatsächlich nicht mehr lebte.
Marek, der einem bestimmten Verdacht nachging, zog den Mann zurück. »Bitte, lassen Sie das.«
»Warum?«
»Es ist besser so.«
Der Bürgermeister glaubte es nicht. »Haben Sie einen bestimmten Verdacht?«, flüsterte er.
»Den habe ich.«
Der Bürgermeister stellte keine Frage mehr. Er trat zurück und presste eine Hand vor die Lippen. Marek scheuchte auch die Träger zur Seite, denn er brauchte jetzt freie Bahn. Sein Gesicht wirkte wie geschnitzt, als er sich tief über den Sarg beugte, um sich den Toten genauer anzuschauen.
Er trug noch die gleiche Kleidung wie am Abend. Durch seinen dichten Bart war der Hals nicht sofort zu sehen, aber genau er war wichtig für Marek.
Vargas war ein Vampir. Daran zweifelte er nicht. Und Vargas brauchte, um auch weiterhin zu existieren, Blut. So ging Marek davon aus, dass Vargas das Blut von dem Totengräber getrunken hatte, um noch stärker zu werden.
Er war ebenso verschwunden wie die Fledermäuse in der Leichenhalle. Aber er war nicht weg, das stand für Marek ebenfalls fest.
Die Augen des Mannes waren geschlossen. Als Frantisek über die Haut strich, spürte er die Kälte oder auch die Neutralität, die von ihr abging.
Er drehte den Kopf nach rechts, damit die linke Halsseite freilag. Das Licht der Sonne schien in den Sarg hinein, ohne dass sich die Gestalt auflöste, aber Ludovic war zu einem Vampir geworden und kein Toter mit normal blasser Haut.
Vargas hatte hart zugebissen und ihm eine große und auch tiefe Wunde zugefügt. Die Haut am Hals war aufgerissen worden.
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