Margaret Mitchell
geht.
Nur bekommen Sie jetzt meistens Ihren Willen, und deshalb besteht zu
Wutanfällen kein Grund mehr.«
»Ach, Sie
sind ein ... Wäre ich doch ein Mann! Dann würde ich Sie fordern und ... «
»... und
für Ihre Mühe totgeschossen werden. Ich kann auf fünfzig Schritt ein
Zehncentstück durchschießen. Halten Sie sich nur lieber an Ihre eigenen Waffen
- Augen, Grübchen, Vasen und dergleichen.«
»Sie sind
ganz einfach ein Schuft.«
»Soll ich
nun deswegen in Wut geraten? Es tut mir leid, Sie da enttäuschen zu müssen. Sie
können mich nicht dadurch in Wut bringen, daß Sie mir die Wahrheit sagen. Ich
bin ein Schuft - warum auch nicht? Wir wohnen in einem freien Lande, da darf
man ein Schuft sein, wenn man dazu Lust hat. Nur Heuchler wie Sie, meine liebe
Dame, die Sie nicht minder schwarz von Herzen sind als ich, aber es zu
verbergen suchen, fahren aus der Haut, wenn man sie bei ihrem rechtmäßigen
Namen nennt.«
Seinem
gelassenen Lächeln und seinen sanften unbeirrbaren Bemerkungen gegenüber war
sie hilflos. Noch nie zuvor hatte sie solch einen Menschen getroffen, und alle
ihre gewohnten Waffen - Verachtung, Kälte und Beschimpfungen - wurden ihr unter
den Händen stumpf. Es gab nichts, dessen dieser Mensch sich je schämen würde.
Nach ihrer Erfahrung verteidigte der Lügner am leidenschaftlichsten seine
Aufrichtigkeit, der Feigling seinen Mut, der Flegel seine Wohlerzogenheit und der
Schuft seine Ehre. Bei Rhett Butler war das alles anders. Er lachte über alles
und forderte sie nur dazu heraus, noch mehr zu sagen.
In diesen
Monaten ging er bei ihr nach Belieben ein und aus, kam unangemeldet oder blieb
weg, ohne sich zu verabschieden. Nie kam Scarlett dahinter, welche Geschäfte
ihn eigentlich nach Atlanta führten. Nur wenige Blockadebrecher hielten es für
nötig, sich so weit von der Küste zu entfernen. Sie brachten ihre Ladung in
Wilmington oder Charleston an Land, wo Schwärme von Händlern und Spekulanten
sie erwarteten, die aus dem ganzen Süden dort zusammenströmten, um die
durchgeschmuggelten Waren zu ersteigern. Gern hätte Scarlett sich dem Glauben
hingegeben, er mache diese Reisen eigens, um sie zu besuchen. Aber selbst ihre
ausgeprägte Eitelkeit gestattete es ihr nicht. Hätte er ihr nur jemals eine
Liebeserklärung gemacht oder sich eifersüchtig auf andere Männer, die sie
umschwärmten, gezeigt, hätte er auch nur versucht, ihre Hand zu drücken, oder
um ein Bild oder ein Taschentuch zum Andenken an sie gebeten, sie hätte
triumphiert und an ihren Sieg zu glauben begonnen. Aber zu ihrem Ärger war er
mit keinem Mittel zu dieser Rolle zu bewegen, und, was das schlimmste war, er
schien all die kleinen Machenschaften, mit denen sie ihn auf die Knie zwingen
wollte, zu durchschauen. Jedesmal, wenn er in die Stadt kam, geriet die gesamte
Weiblichkeit in Aufruhr. Ihn umschwebte nicht nur die Romantik des
Blockadebrechers, um ihn war auch der Kitzel des Bösen und Verbotenen. Sein Ruf
wurde jedesmal, wenn die Matronen von Atlanta zum Klatsch zusammenkamen, noch
ein bißchen schlechter, aber damit freilich wurde sein Nimbus für die jungen
Mädchen nur immer noch größer. Die meisten von ihnen waren ganz unschuldige
Kinder und hatten wohl einmal gehört, er benähme sich »locker mit Frauen« ; wie
aber ein Mann das eigentlich machte, war ihnen keineswegs klar. Auch hörten sie
raunen, daß kein Mädchen vor ihm sicher sei. Bei einem solchen Ruf war es
immerhin verwunderlich, daß er seit seinem ersten Erscheinen in Atlanta keinem
Mädchen auch nur die Hand geküßt hatte. Aber das machte ihn nur immer noch
geheimnisvoller und aufregender.
Abgesehen
von den Helden an der Front war er in Atlanta derjenige, von dem am meisten die
Rede war. Jedermann kannte alle Einzelheiten darüber, wie er wegen Trunkenheit
und einer »Geschichte mit einer Frau« aus West Point ausgewiesen worden war.
Der grauenhafte Skandal mit dem Mädchen aus Charleston, das er kompromittiert,
und dem Bruder, den er totgeschossen hatte, war offenes Geheimnis. Durch
Briefwechsel mit Leuten aus Charleston kam ferner zutage, daß sein Vater, ein
reizender alter Herr mit eisernem Willen und einem Rückgrat wie ein Ladestock,
ihn mit zwanzig Jahren ohne einen Cent aus dem Hause gejagt und sogar seinen
Namen aus der Familienbibel gestrichen hatte. Darauf war er in dem Goldfieber
von 1849 nach Kalifornien und von dort nach Südamerika und Kuba gegangen. Die
Berichte über seine Wirksamkeit in jenen Gegenden waren ebenfalls
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